Natürlich habe ich den Beitrag sofort geliked, als meine Lieblingsbücherei am Dienstag erklärte, dass sie sich am #blackouttuesday beteiligt, und fand die vielen schwarzen Profilbilder und Avatare im Netz wirklich gut und wichtig. Ob Bild sich daran beteiligt hat, habe ich nicht recherchiert, warum ich es zum Kotzen fände, darüber habe ich mich ja vor wenigen Tagen noch geäußert.

Und natürlich machen solch eine Aktion und vor allem deren Anlass uns nachdenklich. Die Bilder und Videos vom gewaltsamen Tod – als juristische Laiin erlaube ich mir von Mord zu sprechen – des Afroamerikaners George Floyd sind unerträglich. Nicht nur, weil sie unverpixelt dem Opfer in seinem Todeskampf jede Würde nehmen. Dass der weiße Polizist, der ihm die Luft abschnürt dabei mit der Hand in der Hosentasche völlig unbeteiligt wirkt, macht mich fast so fassungslos wie die Tat selber und die Mittäterschaft der beteiligten Polizisten.

Das Verbrechen ist überall auf Entsetzen gestoßen, außer vielleicht beim US-Präsidenten, dessen Vater dem Ku Klux Klan angehört haben soll, und anderen überzeugten Rassist/innen. Die Reaktionen weltweit waren viel größer und entschiedener als bei anderen Fällen. Nicht, weil der Tod von George Floyd durch Polizeigewalt etwas Außergewöhnliches gewesen wäre – solche Meldungen sind immer wieder in den Medien zu finden und geraten, je nach Entfernung vom Tatort, meistens schnell in Vergessenheit. Jetzt aber sind, erst in den USA und später in vielen anderen Ländern Menschen auf die Straße gegangen und haben gegen Rassismus und rassistische Gewalt protestiert.

Die gewaltsamen Ausschreitungen in den Vereinigten Staaten sind dabei durch nichts zu entschuldigen und zu rechtfertigen. Dass der unempathische Regierungschef sie zu Wahlkampfzwecken nutzt, und entgegen zahlreicher Zeugenberichte ausschließlich Antifa und radikale Linke dafür verantwortlich macht, ist erbärmlich, Antifaschist/innen zu Terrorist/innen erklären zu wollen, einfach nur dumm. Vielleicht ist es an der Zeit das selbsternannte „stabile Genie“ mal darüber aufzuklären, dass die über 400 000 US-Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gefallen sind, ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus gelassen haben.

Ja, ich finde, Jede und Jeder haben das Recht, sich über Rassismus und rassistische Gewalttaten zu empören und dagegen friedlich(!) aufzubegehren und zu demonstrieren, aber ich finde, das sollten wir nicht nur tun, wenn gut 8 000 Kilometer entfernt Abertausende von Menschen in zahlreichen Städten uns das vormachen. Deshalb bin ich froh, dass es auch in deutschen Städten Demonstrationen, Kundgebungen und landesweite Aktionen gibt, um Gerechtigkeit nach dem Mord an George Floyd zu fordern und sich gegen Rassismus zu positionieren.

Aber ich finde es bedauerlich, wenn die öffentliche Positionierung immer wieder einen Anlass braucht. Ja, es ist gut, richtig und wichtig, wenn deutsche Demokrat/innen auf die Straße gehen, nachdem Flüchtlingsunterkünfte angezündet, Walter Lübke ermordet wurde, der Versuch ein Blutbad in einer Synagoge anzurichten Todesopfer geopfert hat und ausländische Gefängnis-Insassen in ihrer Zelle verbrennen – die Liste lässt sich leider(!) noch fortsetzen. Aber, solange Berichterstattung, Demonstrationen und Diskussionen über solche Fälle nicht dazu führen, dass wir alle uns mal Gedanken machen über unseren eigenen Alltagsrassismus, dann ist das alles nur Fassade. Und wer jetzt behauptet, niemals rassistische Gedanken zu haben, die/der soll sich bitte mal daran erinnern, wann sie/er zum letzten Mal einen Menschen mit nicht weißer Hautfarbe nach dessen Herkunft gefragt hat und sich mit der Antwort „aus Gelsenkirchen“ zufriedengegeben hat.

Rassismus ist in Deutschland ein Problem, dass mit dem Ende der Nazi-Diktatur nicht in der Versenkung verschwunden ist, sondern im Gegenteil seit einiger Zeit eine unrühmliche Renaissance erlebt, wie nicht nur die jüngste Kriminalstatistik, sondern auch vermehrte Arbeit für MAD und Verfassungsschutz deutlich machen. Es ist ein Problem, dass uns alle angeht, und gegen das – zumindest nach meinen Wunschvorstellungen –  alle aufstehen müssen, denen Werte wie Toleranz, Respekt, Weltoffenheit und Rechtsstaatlichkeit wichtig sind. Das dürfen wir nicht denen überlassen, die nur aufgrund von Hautfarbe und Aussehen Zeit ihres Lebens immer wieder Opfer von Rassismus werden, egal ob sie in Straubing oder Aleppo geboren sind. Ja, ich würde mir wünschen, dass jedes Mal, wenn in Bus und/oder Bahn das Wort „Kanacke“ fällt, die Mehrheit der Mitfahrenden reagiert, und sei es nur mit dem kollektiven Griff zum Handy um Anzeige wegen Beleidigung zu erstatten. Und warum nicht mal, wenn man dann ohnehin am Bahnhof ist, die behördliche Versicherung, es gäbe in Deutschland kein Racial Profiling überprüfen, indem man jemanden, dessen Aussehen als Hinweis auf andere Herkunft oder Religionszugehörigkeit herhalten muss, im Beisein von Polizei-Beamt/innen fragen, wie oft sie/er in dieser Woche schon die Ausweispapiere vorzeigen musste?

Ich weiß, der Moment zwischen Zivilcourage zeigen und blutend am Straßenrand zu liegen kann verdammt kurz sein. Aber auf erkannte Missstände an geeigneter Stelle aufmerksam zu machen, ist keine Heldentat, kann allerdings sehr langwierig sein. Und je mehr Menschen deutlich machen, dass sie Rassismus, egal in welchem Umfeld, zu welcher Gelegenheit und in welchem Ausmaß nicht akzeptieren, desto wirkungsvoller wird dieser Einsatz sein.

Wie sehr dauerhaftes, peinlich berührtes Schweigen oder bequemes Wegsehen den Grundsatz von Gleichheit und Gerechtigkeit für alle Menschen unabhängig von Aussehen, Herkunft, Religion massiv gefährdet, sehen wir gerade jenseits des großen Teichs. Es liegt an uns, dass wir, unsere Kinder und Enkel es hier in dem Ausmaß nicht erleben müssen.

So, das war jetzt nicht – auch wenn es sich ein bisschen so anhören mag – mein Wort zum meteorologischen Sommeranfang, sondern ein Anliegen, das mir so wichtig ist, dass ich mir wünsche, schwarze Profilbilder und Avatare im Netz wären nur ein Anfang für eine wachsende, friedliche und solidarische Bewegung.

fl