„Ich komme auf Deutschland zu – ein Syrer über seine neue Heimat“. Sollte ich ein Buch über syrische Flüchtlinge lesen, wo ich doch in regelmäßigem Kontakt so viel aus erster Hand erfahre? Ja klar, ich bin ja neugierig, äh sehr interessiert, habe das Buch schlecht aus der Hand legen können und keine Leseminute bereut. Auch wenn die Gespräche mit meinen syrischen Freund/innen sehr offen und dank ihres fleißigen Deutschlernens inzwischen tiefgehend sind, gibt es immer wieder Momente, wo sich beide Seiten fragen, was man dem Gegenüber zumuten kann, wenn es um politische Verfolgung, Kriegs- und Fluchterlebnisse geht. Der syrische Filmemacher Firas Alshater hat solche Berührungsängste weniger und weiß dennoch Grenzen zu ziehen, nicht zuletzt um sich selbst und seine psychische Verfassung zu schützen. Er setzt da lieber auf Humor, sowohl in seinem Buch als auch in seinem empfehlenswerten Youtube-Kanal „Zukar“.
Alshater kam als Filmemacher mit einem Arbeitsvisum 2013 nach Deutschland, wohlwissend dass eine Rückkehr in seine Heimat für ihn auf absehbare Zeit nicht möglich ist, denn er gehörte zu den Mitorganisatoren der ersten Anti-Assad-Demonstrationen, und saß mehrfach im Gefängnis und wurde dort gefoltert. Seine Dankbarkeit, in Deutschland in Freiheit und Sicherheit leben zu können, bringt er immer wieder zum Ausdruck, äußert aber auch deutliche – und wie ich finde, sehr berechtigte – Kritik an vielen Dingen, die es Flüchtlingen schwer machen, in ihrer neuen Heimat wirklich anzukommen.
Wenn er sich über die deutsche Bürokratie beklagt, dann habe ich das live in anderem Wortlaut schon viel zu oft gehört, allerdings halte ich seine Schlussfolgerung für durchaus überlegenswert: „Wenn der Westen irgendwann ISIS im Alleingang besiegen will, muss er nur einen deutschen Behördenbrief hinschicken. An dessen Übersetzung gehen die bestimmt zugrunde.“
Der Autor schreibt auch darüber, wie wichtig für ihn die Hilfe und Unterstützung Einheimischer war, wenn er drohte vor der deutschen Bürokratie oder dem Berliner Wohnungsmarkt zu kapitulieren, und welche Hürden dadurch für die Integration aufgebaut werden. Wieder mal meine volle Zustimmung zu seinem Statement: „Ich glaube nur an die Flucht nach vorne. Die wäre übrigens auch für die besorgten und verängstigten Menschen in Deutschland gut. Sie könnten einfach mal anfangen, weniger über Flüchtlinge zu diskutieren und mehr mit ihnen. Deshalb ist Integration im Heim ungefähr so sinnvoll, wie eine Tür auf eine Mauer zu malen. Flüchtlinge können sich nun mal nicht in einem Land integrieren, wenn sie nicht mit Einheimischen zusammen sein dürfen. Eine Hand klatscht ja auch nicht alleine.“
Meine Empfehlung für „Ich komme auf Deutschland zu“ sowohl für diejenigen, die Kontakte zu Flüchtlingen haben, als auch für diejenigen, deren Meinungen eher abstrakte Grundlagen haben: Unbedingt lesen! Das Buch bietet einen kompakten, informativen und oft humorvollen Überblick über ein Schicksal, das so ähnlich viele Syrer mit Alshater teilen, und heischt nicht um Mitleid sondern wirbt um Verständnis.
Wenn ich irgendwann mal irgendwo einen jungen, bärtigen Mann auf der Straße stehen sehe mit diesem Schild
Dann werde ich ihn in den Arm nehmen auch, wenn er vielleicht nicht Firas Alshater ist. Er wird sicher ebenso wie viele andere mit mir dessen Meinung teilen: „Wenn wir eines Tages nicht mehr über Integration reden, dann hat sie funktioniert.“
fl