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Portion Senf dazu?

Die Bücherei St. Lamberti bloggt

Monat

November 2017

„Umarme mich!“

 

Firas Alshater„Ich komme auf Deutschland zu – ein Syrer über seine neue Heimat“. Sollte ich ein Buch über syrische Flüchtlinge lesen, wo ich doch in regelmäßigem Kontakt so viel aus erster Hand erfahre? Ja klar, ich bin ja neugierig, äh sehr interessiert, habe das Buch schlecht aus der Hand legen können und keine Leseminute bereut. Auch wenn die Gespräche mit meinen syrischen Freund/innen sehr offen und dank ihres fleißigen Deutschlernens inzwischen tiefgehend sind, gibt es immer wieder Momente, wo sich beide Seiten fragen, was man dem Gegenüber zumuten kann, wenn es um politische Verfolgung, Kriegs- und Fluchterlebnisse geht. Der syrische Filmemacher Firas Alshater hat solche Berührungsängste weniger und weiß dennoch Grenzen zu ziehen, nicht zuletzt um sich selbst und seine psychische Verfassung zu schützen. Er setzt da lieber auf Humor, sowohl in seinem Buch als auch in seinem empfehlenswerten Youtube-Kanal „Zukar“.

Alshater kam als Filmemacher mit einem Arbeitsvisum 2013 nach Deutschland, wohlwissend dass eine Rückkehr in seine Heimat für ihn auf absehbare Zeit nicht möglich ist, denn er gehörte zu den Mitorganisatoren der ersten Anti-Assad-Demonstrationen, und saß mehrfach im Gefängnis und wurde dort gefoltert. Seine Dankbarkeit, in Deutschland in Freiheit und Sicherheit leben zu können, bringt er immer wieder zum Ausdruck, äußert aber auch deutliche – und wie ich finde, sehr berechtigte – Kritik an vielen Dingen, die es Flüchtlingen schwer machen, in ihrer neuen Heimat wirklich anzukommen.

1GeschmökertWenn er sich über die deutsche Bürokratie beklagt, dann habe ich das live in anderem Wortlaut schon viel zu oft gehört, allerdings halte ich seine Schlussfolgerung für durchaus überlegenswert: „Wenn der Westen irgendwann ISIS im Alleingang besiegen will, muss er nur einen deutschen Behördenbrief hinschicken. An dessen Übersetzung gehen die bestimmt zugrunde.“

Der Autor schreibt auch darüber, wie wichtig für ihn die Hilfe und Unterstützung Einheimischer war, wenn er drohte vor der deutschen Bürokratie oder dem Berliner Wohnungsmarkt zu kapitulieren, und welche Hürden dadurch für die Integration aufgebaut werden. Wieder mal meine volle Zustimmung zu seinem Statement: „Ich glaube nur an die Flucht nach vorne. Die wäre übrigens auch für die besorgten und verängstigten Menschen in Deutschland gut. Sie könnten einfach mal anfangen, weniger über Flüchtlinge zu diskutieren und mehr mit ihnen. Deshalb ist Integration im Heim ungefähr so sinnvoll, wie eine Tür auf eine Mauer zu malen.  Flüchtlinge können sich nun mal nicht in einem Land integrieren, wenn sie nicht mit Einheimischen zusammen sein dürfen. Eine Hand klatscht ja auch nicht alleine.“

Meine Empfehlung für „Ich komme auf Deutschland zu“ sowohl für diejenigen, die Kontakte zu Flüchtlingen haben, als auch für diejenigen, deren Meinungen eher abstrakte Grundlagen haben: Unbedingt lesen! Das Buch bietet einen kompakten, informativen und oft humorvollen Überblick über ein Schicksal, das so ähnlich viele Syrer mit Alshater teilen, und heischt nicht um Mitleid sondern wirbt um Verständnis.

Wenn ich irgendwann mal irgendwo einen jungen, bärtigen Mann auf der Straße stehen sehe mit diesem Schild

Umarme mich

Dann werde ich ihn in den Arm nehmen auch, wenn er vielleicht nicht Firas Alshater ist. Er wird sicher ebenso wie viele andere mit mir dessen Meinung teilen: „Wenn wir eines Tages nicht mehr über Integration reden, dann hat sie funktioniert.“

fl

Bau(tsch)spaß

Lego

Über Freud und Leid des Eltern-Daseins können bekanntlich nur die fachkundig mitreden, die in tiefer Nacht im dunklen Kinderzimmer schon mal auf einen Legostein getreten sind. Der Zustand des Halbschlafes ist in Rekordzeit beendet. Danach, aber auch, wenn es mal wieder verdächtig im Staubsauger klappert, stellt sich die Frage, ob Lego Fluch oder Segen ist. Und die Antwort lautet, wie so oft: Kommt drauf an.

Fluch ist es sicher, wenn Eltern ihren Nachwuchs zu künftigen Star-Architekten erziehen wollen, nur weil das erste Lego-Haus nicht zu windschief geraten ist. Ein Segen dann, wenn der Nachwuchs stundenlang ohne Lärm zu erzeugen konzentriert seine motorischen Fähigkeiten phantasievoll verbessert. Wobei die Sache mit der Phantasie im Laufe der Jahre irgendwie anders gewichtet wird, als zu meiner Kindheit.

Mein älterer Bruder war begeisterter Lego-Konstrukteur, so dass ein beträchtlicher Bestand an Bausteinen bereits zur Grundausstattung des Kinderzimmers gehörte, als ich in das passende Alter kam. Aber der Begriff Grundausstattung passte auch zur Auswahl der vorhandenen Steine. Viel mehr als gerade Wände und schräge Dächer waren damit kaum zu bauen, durchsichtige Fenstersteine waren noch etwas Besonderes und entsprechend eher spärlich verfügbar. Phantasie war besonders dann gefragt, wenn der passende Eckstein für den Dachfirst trotz intensiver Wühlerei in der Lego-Kiste nicht auffindbar war. Er kam oft erst in irgendeiner Ecke des Spielzeugregals zutage, wenn das Haus längst wieder in seine Einzelteile zerlegt war.

Dass ein paar Jahrzehnte später die Palette an Legosteinen auf über 75 000 verschiedene Exemplare in allen nur erdenklichen Farben angewachsen war, hätten wir uns nicht träumen lassen. Ebenso wenig, dass es einmal Baukästen geben würde, mit 4 287 Einzelteilen, die zur London Tower Bridge zusammengebaut werden können. Von Ritterburgen oder gar Raumschiffen ganz zu schweigen. Ich frage mich da oft, ob es nicht eher die Eltern als die Kinder sind, die ihren Spaß daran haben, Bauanleitungen akribisch umzusetzen. Und wie lange muss so ein Meisterwerk wohl irgendwelche Regale zieren, bis man es übers Herz bringt, das Ergebnis vieler, vieler Stunden wieder in seine Einzelteile zu zerlegen?

Einfach mal nach Herzenslust zu planen und loszubauen scheint irgendwie aus der Mode gekommen zu sein, und dabei ist es genau das, was vielen Kindern Spaß macht. Den Beweis dafür werden das Puppen- und Spielzeugmuseum und die Bücherei St. Lamberti antreten, wenn sie im Dezember an zwei Samstagen zum „Lego-Bauspaß“ einladen. Am 2. Und 16. Dezember, jeweils von 10 bis 13 Uhr können Jungen und Mädchen eine Stadt und eine Eisenbahn entstehen lassen. Bis Anfang Januar sind die Bauwerke dann im Bücherei-Forum zu besichtigen, und ich bin sicher, dass so manche/r Betrachter/in sich dann in die eigene Kinderzeit zurückversetzt fühlen wird.

fl

„Sprachschatz – Bibliothek und KiTa Hand in Hand“ 2017–2019 – Auftakt zum Pilotprojekt

Wer wissen möchte, wie unser neuestes Projekt abläuft, dem sei der Blogbeitrag der Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken ans Herz gelegt:

https://oebib.wordpress.com/2017/11/13/sprachschatz-bibliothek-und-kita-hand-in-hand-pilotprojekt-2017-2019-auftaktworkshop-zum-pilotprojekt/

Heiligabend alles frisch?

Heiligabend

Liebe Leser/innen,

erinnert Ihr Euch noch an die Zeiten, an denen abends um 18.30 Uhr keine Chance bestand, noch ein Päckchen Butter, Brötchen oder Milch käuflich zu erwerben? Als samstags um 12 Uhr Ladenschluss war, in allen Läden? Ich sehr gut. Woran ich mich nicht erinnere , dass mir das jemals Durstgefühle oder Magenknurren beschert hätte.

Ja, es war damals möglich, so einzukaufen, dass man kleine Vorräte anlegen konnte, die einen unbeschadet und sogar noch geschmackvoll über ein paar Tage bringen konnten. Und das in Zeiten, in denen Tiefkühlschränke nicht zur Standardeinrichtung der deutschen Küchen gehörte.

Und heute, in einer Zeit, in der Tiefkühl- und Fertiggerichte einen beträchtlichen Teil der Supermarkt-Angebote ausmachen, soll es nicht mehr möglich sein, so einzukaufen, dass die ganze Familie drei Tage lang festlich bewirtet werden kann? Oder was soll der Schwachsinn, dass ernsthaft darüber nachgedacht und öffentlich diskutiert wird, Lebensmittel-Geschäfte am Sonntag, dem 24. Dezember, zu öffnen, weil auf diesen Sonntag zwei gesetzliche Feiertage folgen?

Was bitte soll ich an einem Sonntag im Supermarkt einkaufen können, was ich nicht auch schon am Samstag dort kriege? Frische Brötchen gibt´s beim Bäcker, dessen Personal sich leider hat daran gewöhnen müssen, auch sonntags ein paar Stunden arbeiten zu müssen. Aber weder Aufschnitt, Käse, Fleisch oder Gemüse werden im Supermarkt frischer sein als am Tag zuvor. Und dass mein Portemonnaie sich wie von Zauberhand an Heiligabend von selbst auffüllt, wird ein Traum bleiben. Mit anderen Worten: Warum soll auf Kosten der Mitarbeiter/innen der Umsatz der Lebensmittelbranche auf sieben statt sechs Tage verteilt werden? Bemerkenswert größer dürfte er nicht werden, denn mehr als satt werden können wir auch zu Weihnachten nicht.

Mit anderen Worten: einen trifftigen Grund, warum Lebensmittelverkäufer/innen den freien Sonntag nicht genießen sollen, nur weil er auf den 24. Dezember fällt, kann ich nicht erkennen. Auffällig finde ich allerdings, wenn solche Vorschläge aufkommen für Branchen, in denen es nicht üblich ist, Sonntagszuschläge zu zahlen. Wie wäre es denn, wenn diejenigen, die am Heiligabend hinter der Fleisch-Theke stehen oder an der Kasse sitzen, einen ordentlichen Zuschlag bekämen, den die Kund/innen am selben Tag durch einmalige Preisaufschläge finanzieren? Wetten, dass dann die Idee, die Lebensmittelgeschäfte am sonntäglichen Heiligabend zu öffnen, ganz schnell vom Tisch wäre?

fl

 

Und Tschüss

Kanne IC

Wenn ein Angebot nach zwei Jahren nur noch spärlich angenommen wird, dann kann das durchaus ein Zeichen von Erfolg sein. Dann nämlich, wenn dieses Angebot so gut gepasst hat, dass es sich auf Dauer selbst überflüssig gemacht hat. Und so bin ich als Organisatorin sogar ein bisschen stolz darauf, dass das monatliche Internationale Café in der Bücherei im November zum letzten Mal stattfinden wird. Denn es ist schlicht und einfach nicht mehr nötig, Geflüchteten in Ochtrup eine besondere Möglichkeit zu bieten, ihre Deutschkenntnisse zu festigen und zu verbessern. Es ist auch nicht mehr nötig ihnen zu helfen, private Kontakte zu Einheimischen zu knüpfen, und es ist nur noch sehr selten nötig, sie bei der Suche nach den richtigen Einrichtungen und Ansprechpartnern bei Behörden-Angelegenheiten zu unterstützen. Die meisten sprechen nämlich inzwischen so gut Deutsch, dass sie das sehr gut alleine können. Auch gut genug, um im Bedarfsfall ihren Landsleuten zu helfen.

Natürlich war nicht alles schön, zum Beispiel wenn die Wartezeiten auf Sprachkurse zäh wie Kaugummi wurden, von Jobaussichten in der Anfangszeit gar nicht zu reden. Es war sehr bedrückend, von Kriegs- und Fluchterlebnissen zu hören. Und es war ganz schlimm, hilflos die Angst um Angehörige und Freunde zu erleben, schlimmer noch die Trauer um sie.

Aber es gab eben auch ganz tolle Moment, zum Beispiel zu beobachten, wie Verabredungen außerhalb des Internationalen Cafés getroffen wurde, wie Termine vereinbart wurden für die Begleitung zu Ämtern oder potentiellen Arbeitgebern. Und besonders beeindruckend, wie die Deutschkenntnisse von Monat zu Monat besser wurden, wie die durch Angst vor Sprachfehlern verursachte Zurückhaltung nach und nach schwand. Und so wurden die Gespräche auch immer interessanter, weil aus dem anfänglichen Austausch von wenigen, wichtigen Informationen ein Austausch von Erfahrungen und Meinungen wurde.

Ich weiß nicht, wie viele Kannen Kaffee und Tee ich in den vergangenen zwei Jahren jeden ersten Samstag im Monat gekocht habe, wie viele Tassen ich anfangs quer durch die Bücherei geschleppt habe. Das große Loch im Socken nach einem besonders gut besuchten Samstag bleibt in Erinnerung. Umso dankbarer war und bin ich für das Angebot von unseren knitterfreien Nachbarn, (für Nicht-Insider: gemeint ist das integrative Café Knitterfrei neben der Bücherei) deren Ausstattung nutzen zu dürfen. Eine Gastronomie-Spülmaschine ist etwas ebenso Tolles wie eine Kaffeemaschine mit zwei-Liter-Kanne!

Bis zu 40 und mehr Besucher/innen kamen jeden ersten Samstag im Monat zusammen, in unterschiedlicher Zusammensetzung. Mal waren die Einheimischen in der Überzahl, mal die Geflüchteten, was der Ausgewogenheit der Gespräche aber keinen Abbruch tat. Seit ein paar Monaten allerdings nimmt die Zahl vor allem der zugewanderten Besucher/innen kontinuierlich ab. Wie mir glaubhaft versichert wurde, nicht weil es ihnen nicht mehr gefällt, sondern aus Zeitmangel. Denn wer während der Woche arbeitet, ein Praktikum absolviert, studiert oder einen C1-Sprachkurs absolviert, der verbringt seine wenige freie Zeit am Wochenende lieber Zuhause mit der Familie, statt sich nochmal auf den Weg in die Bücherei zu machen. Und das finde ich gut so, auch wenn ich das Internationale Café vermissen werde. Schließlich ist es nicht so, dass ich all die treuen und interessierten Besucher/innen nicht immer mal wieder treffen werde. So groß ist Ochtrup ja wirklich nicht.

Ein (vorerst) letztes Mal werde ich für alle am ersten Samstag im November Kaffee und Tee kochen und mich bei ihnen bedanken können, dass sie mich unterstützt haben, egal ob durchs Mitbringen von Freunden und Bekannten, durchs Ausräumen der Spülmaschine oder durch selbstgebackene Spezialitäten von Piepkuchen bis Baklava. Es war eine tolle Zeit mit Euch, und es wird weiterhin toll, wenn wir uns treffen. Es muss ja nicht am ersten Samstag im Monat sein.

Bettina

 

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