Das Kunststück einen handtuchgroßen Wahlzettel in einen C6 Briefumschlag so zu stopfen, dass Letzterer auch verschlossen werden kann, habe ich schon bewältigt. Und dabei habe ich in Gedanken den vielen Frauen und Männern Beileid und Hochachtung gezollt, die am Sonntagabend feststellen müssen, an welchen der 40 möglichen Stellen jemand ein Kreuz gemacht hat, um dann anschließend die Stimmen für die einzelnen Parteien zusammenzuzählen.

Da ich, wie seit Jahren – und ja, ich gebe es zu, aus Bequemlichkeit – Briefwahl mache, könnte das Thema Europa-Wahlkampf eigentlich für mich abgeschlossen sein. Nicht zuletzt, weil ich noch kein einziges Wahlplakat gesehen habe, dass ich nur ein klitzekleines bisschen interessant fand.
Wenn ich aber lese, mit welchen Mitteln einige Parteien und Gruppierungen Wahlkampf betreiben, dann werde ich ziemlich sauer. Die Organisation Avaaz hat laut Tagesschau eine Vielzahl von Fake-Profilen auf Facebook aufgespürt, die im Vorfeld der Europawahl Falschinformationen verbreitet haben. Auch Deutschland ist massiv betroffen, von den 550 verdächtigen Seiten und Gruppen aus fünf Ländern steht Deutschland mit 119 Fällen auf Rang zwei hinter Polen mit 197 Fällen. Bei den 328 vermuteten Fake-Profilen ist Deutschland unangefochtener Spitzenreiter mit 204 Fällen. Insgesamt hatten die verdächtigen Seiten, Gruppen, Netzwerke und Profile 31 991 749 Follower (Deutschland: 898 918) und 67 442 042 Interaktionen (Deutschland: 2 203 344). Von 230 von Facebook nach der Avaaz-Untersuchung entfernten Seiten waren 131 aus Deutschland. Muss ich noch erwähnen, dass eine Vielzahl der Seiten der AfD zugeordnet wurden, die auf diesen Wegen nicht nur Falschinformationen, sondern auch rechtsextreme Inhalte verbreitet hat.
Mal ganz ehrlich: Was soll das? Warum meinen Menschen, die nicht mit anständiger Sacharbeit und guten Argumenten überzeugen können, sie müssten Politik machen? Und warum bedienen sich ausgerechnet diejenigen der schmutzigsten Kniffe, die sich als nimmermüde Saubermänner im selbstlosen Einsatz „fürrr unserrr Vaterrrland“ verkaufen wollen? Ja, ich weiß, es gibt auch ein paar selbsternannte Sauberfrauen, aber die geben sich meistens mit der Rolle des emanzipatorischen Feigenblatts zufrieden.
Und was bitte ist das für ein „Wahlkampf“, wenn ein Youtuber der größten Regierungspartei mit einer Vielzahl von durch Quellen belegten Fakten aufzeigt, wo diese in den letzten Jahren versagt hat, und die Reaktionen der Kritisierten darauf fast durchgehend irgendwas mit den blaugefärbten Haaren des Mannes zu tun haben. Sollen wir jetzt den Vorsitzenden einer (zumindest in 2017) regierungsunwilligen kleinen Partei im Bundestag ständig nur noch mit implantiertem Haupthaar in Verbindung bringen? Obwohl dabei wird einem ja in den Kopf gestochen, vielleicht sollte das nicht ganz unberücksichtigt bleiben…
Ja, da macht wählen gehen nicht immer Spaß, was aber der Notwendigkeit keinen Abbruch tut. Ganz nach dem kürzlich von einer jungen Frau gehörten Motto „Mein Opa hat immer gesagt, Wählen ist wie Zähne putzen. Wenn man es lässt, wird’s braun.“
Sollte zufällig jemand derjenigen, die mit ihrer Wahlentscheidung dafür sorgen wollen, dass es braun wird, und die gerade nicht das Netz mit blauen Herzchen fluten, diese Zeilen lesen, nicht vergessen: Wenn Ihr den Wahlzettel unterschreibt, dann zählt Eure Stimme doppelt. Ja, ich weiß, der Witz ist uralt, aber aus seriöser Stimmzählerquelle weiß ich, dass er immer wieder funktioniert.
Wie auch immer:

fl