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Portion Senf dazu?

Die Bücherei St. Lamberti bloggt

Monat

April 2018

Schlimmer geht immer

Papier

Upcycling ist der aktuelle DIY-Trend. Wer weiß, was ich von Anglizismen  halte, bekommt gerade auch eine ungefähre Vorstellung davon, was ich von dieser Art von Verschlimmbesserung halte. Wohlgemerkt, ich rede von Upcycling am Esszimmertisch wobei nach detaillierter Anleitung unnütze Dinge hergestellt werden, bei deren Anblick vom Betrachter erwartet wird, sie über den grünen Klee zu loben. Es geht also nicht um alte Autoreifen, die als Schuhsohlen oder Feuerwehr-Schläuche und LKW-Planen die als Taschen auf dem Konsum-Gnadenhof noch ein paar schöne Jahre verbringen.

Nein, es geht eben um einen Zeitvertreib, der gerne von einschlägigen Zeitschriften als der ultimative Trend zur Steigerung des Wohlbefindens ausgerufen wird, der jede Wohnung zu einem wahren Schmuckkästen an Kreativität und Umweltbewusstsein macht. Falls hier jemand Spuren von Ironie entdeckt, ist das beabsichtigt. Denn mal ehrlich: Wer, außer denjenigen die kleine Kinder an regnerischen Nachmittagen beschäftigen müssen, kommt denn auf die Idee, Klopapierrollen aneinander zu kleben, alte Joghurt-Bescher zu bemalen und Pappschachteln mit Plastik-Glitzersteinchen zu bekleben? Mir fallen da überwiegend Mitarbeiter/innen der oben erwähnten Zeitschriften und Verfasser/innen von Ratgebern und youtube-Filmchen ein.

Sie alle sorgen unermüdlich für immer neue Trends, also in erster Linie für ihre Bankkonten. Egal was am Ende dabei rauskommt, wenn man ihre Anleitungen stundenlang, mit einer oft gar nicht mal so preisgünstiger Ausstattung an Werkzeug und Hilfsmitteln nacharbeitet. Selbstverständlich verfügt auch die beste Bücherei meines Wohnortes über eine ebenso umfang- wie abwechslungsreiche Sammlung von Anleitungsbüchern, die den unterschiedlichsten Ansprüchen gerecht werden. Manchmal auch ziemlich niedrigen. Aber in der Regel finden sich zwischen den vielen Vorschlägen auch immer mal wieder welche, die interessant (im positiven Sinne) wirken. Nicht nur bei den von mir bevorzugten Handarbeitsbüchern.

Fragwürdig finde ich allerdings, wenn ansehnliche und geschmackvolle Dinge durch Upcycling grottenhässlich werden. Naturholz beispielsweise wird durch schweinchenrosa oder schwimmbadkachelblaue Farbe in der Regel nicht schöner. Und selbst wenn die Papierservietten, mit denen man Möbelstücke bekleben soll, ein nettes Blümchenmuster haben, rettet das Omas alten Couchtisch nicht unbedingt davor, nach zeitintensiver Bearbeitung wieder auf dem Dachboden zu verschwinden.

Bei sehr vielen Gegenständen, die als Upcycling-Objekt infrage kommen könnten, ist übrigens die Überlegung angebracht, warum wurden sie überhaupt gekauft? Tut man der Umwelt manchmal nicht einen größeren Gefallen damit, sein eigenes Konsumverhalten mal zu überdenken, statt sein Gewissen damit beruhigen zu wollen, etwas, was man wegwerfen möchte durch Upcycling so hässlich zu machen, dass man es wegwerfen muss?

Und dann gibt es noch die trendigen Upcycling-DIY-Tipps, bei denen es wohl nur ums Zeit totschlagen geht, und die man bestenfalls jemandem empfehlen möchte, der seine Finger anders beschäftigen will, als mit dem Festhalten von Zigaretten. Oder kommt sonst jemand ernsthaft auf die Idee, alte Zeitungen in feine Streifen zu schneiden, die zusammengefaltet zu Kreisen geformt und mit Kabelbindern fixiert als Wandschmuck dienen sollen? Oder alte Zeitungen sorgfältig zusammenzufalten, so dass sie als „Pompons“ bezeichnet am bunten Faden von der Decke baumeln?

Ja, manchmal bin ich altmodisch. Ich finde nämlich, dass man in alten Zeitungen am besten Fisch vom Marktstand nach Hause tragen kann, oder Kartoffelschalen zur Biotonne.

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Ein Socken für jede Söckin…

…oder: Wie ich doch noch zur Sockenstrickerin wurde

Keine Ahnung, wie viele Pullis, Jacken, Tücher, Schals und Mützen ich schon gestrickt hatte, als ich mich immer noch standhaft weigerte, Socken zu stricken. Ich habe lieber ein Bodenkissen mit über einem halben Meter Durchmesser in Filzwolle gestrickt, als mich an Käppchen und Zwickel für eine Sockenferse zu wagen. Wer die Technik des Strickfilzens kennt, weiß, von welcher Größenordnung ich spreche. Mein Jüngster fragte mich zwischendurch verwundert, warum ich einen Kinderschlafsack auf der Nadel habe.

Filzkissen

Für die Nichtinsider: Beim Strickfilzen werden die Strickstücke ein Drittel größer gestrickt als später erforderlich, um dann in der Waschmaschine das zu tun, was beim hochwertigen Wollpulli eine höchst ärgerliche Angelegenheit ist: Schrumpfen und Verfilzen.

Es gab auch keinen Grund, mich im Sockenstricken zu üben, da meine Mutter begeistert die gesamte Familie mit Socken in allen Farben und notwendigen Größen versorgte. So begeistert, dass wir Vorräte anlegen konnten, die auch noch einige Jahre gute Dienste taten, nachdem sie verstorben war. In der Zwischenzeit war mein Faible fürs Strickfilzen groß genug, dass ich mich auch an Filzpuschen herangewagt hatte. Angst vor dem Nadelspiel hatte ich also keine, aber keine Lust auf eben Käppchen und Zwickel und die damit verbundene Zählerei.

Irgendwann, als der größte Teil meines Sockenvorrats bedenklichen Verschleiß aufwies, liefen mir dann aus dem weltweiten Netz Socken über den heimischen Bildschirm, die versprachen, dass ich Socken ohne die lästige Ferse stricken könnte. Sie versprachen darüber hinaus sogar, dass diese auch gut am Fuß sitzen. Die Rede ist von sogenannten Spiral- oder Regenwurmsocken. Deren Fertigstellung ist in der Tat so kinderleicht, dass sich mir nicht erschließt, warum es Anleitungsbücher dafür gibt. Und ja, sie sitzen wirklich gut und sind vor allem bei Eltern von Neugeborenen beliebt, weil sie mitwachsen (und ich muss mir nicht den Kopf über Geschenke zerbrechen). Außerdem sind sie so schnell fertig, dass der Griff zu Stricknadel beim Einsetzen der Wehen – außer bei Sturzgeburt und Kaiserschnitt  – ein guter Zeitplan ist.

Spiralsocken

Ja, es macht Spaß, Spiralsocken zu stricken (auch Socken-Neulingen, die mir dann Beweisbilder schicken) aber verwöhnt von Liebmütterleins Strickkünsten waren es irgendwie keine „richtigen Socken“. Also begann ich nach weiteren Alternativen zu Käppchen und Zwickel zu suchen und wurde auf der Nadelspiel-Seite von EliZZZa, meiner Lieblingsanleiterin auf Youtube, fündig. Nicht nur ihr charmanter österreichischer Akzent macht ihre Videos hörenswert, sondern die geduldig in allen Einzelheiten erklärten und demonstrierten Arbeitsschritte machen sie sehenswert.

Das Zauberwort heißt „Bumerang“ und das Geheimnis sind verkürzte Reihen, und die hatte ich u. a. beim oben erwähnten Bodenkisssen hinreichend geübt. Ich muss nicht zählen, ich muss keine Maschen wieder einfangen und sie funktioniert, egal ob ich die Socken oben oder unten anfange.

Ja, ich hab mir im Laufe der Zeit einige Besonderheiten beim Sockenstricken angewöhnt: Ich nehme dafür nicht nur eckige Nadeln, die ein viel gleichmäßigeres Strickbild ergeben, als ihre runden Geschwister, sondern ich fange Socken an der Spitze an, die mir so besser gefällt.  Ich stricke inzwischen gerne Socken – für mich oder für Menschen mit ähnlicher Schuhgröße. Bei allem, was über Größe 40 hinausgeht, wird der Spaß schon mal von Langeweile verdrängt. Umso besser, dass einer meiner Söhne sich inzwischen seine Socken selber strickt – mit Käppchen und Zwickel für die Ferse.

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Socken stricken

„Lies das mal.“ Ja bitte!

„Lies das mal, das könnte was für dich sein. Und sag mir anschließend mal, ob du es für authentisch hältst. Du bist da näher dran als ich“ Mit diesen Worten drückte der Chef meiner Lieblingsbücherei mir das Buch „Unter Fremden“ von Jutta Profijt in die Hand. Ja, der Mann kennt mich. Gut genug um zu wissen, dass Flüchtlinge, syrische Frauen und Krimi (!) eine Kombination sind, die mich packt. Und was ich davon halte? Soviel, dass ich es nicht nur dem Bücherei-Chef sagen will, sondern auch aufgeschrieben habe als eindeutige Empfehlung, dieses Buch unbedingt zu lesen.

1Geschmökert

Wie beschreibe ich den Inhalt eines Kriminalromans, ohne zu viel zu verraten und Spannung zu zerstören? Am besten gar nicht, weshalb ich auch darauf verzichte und auf andere Aspekte eingehen möchte.

Zunächst einmal darauf, dass ich es großartig finde, wie die in der niederrheinischen Provinz lebende Jutta Profijt sich in die Denkweise und Gefühlswelt einer Analphabetin aus einem syrischen Dorf einfühlt. Vieles, was ich aus zahlreichen, intensiven Gesprächen mit Syrerinnen als Fakten mitgenommen habe, wird von der Hauptperson des Romans erlebt und erfahren, ohne dass die Autorin irgendeine Wertung vornimmt. Und so schüttelt der/die Leser/in beispielsweise nicht verwundert den Kopf, sondern fühlt einfach nur mit, wenn die gehbehinderte Madiha völlig erschöpft eine längere Busfahrt stehend hinter sich bringt, weil freie Sitzplätze nur direkt neben männlichen Fahrgästen verfügbar sind.

Die Schilderungen vom Alltag in einer Massenunterkunft würde ich gerne all denen zu lesen geben, die diese Unterbringung für akzeptabel halten. Und noch lieber denjenigen, die solche Dummheiten raushauen wie „Da ist doch alles viel besser, als sie es von Zuhause gewohnt sind.“ Auch wenn die Protagonistin erst lernen muss, ein Smartphone zu bedienen, bedeutet das sicher nicht, dass syrische Frauen mit den Segnungen der technischen Neuzeit nicht vertraut sind. Ja, es gibt (nicht nur) im arabischen Raum deutliche Unterschiede zwischen dem Leben in der Großstadt und auf dem Land. Aber auch in abgelegenen Dörfern wird dort das Wasser eher nicht mit Kamelen von einem weit entfernten Brunnen geholt, sondern kommt aus dem Kran. Meistens sogar warm.

Und auch denjenigen, die durch ihre Hilfe und ihr Engagement in solchen Unterkünften mit den Gegebenheiten vertraut sind, möchte ich das Buch gerne zu lesen geben und ihnen einige Abschnitte besonders empfehlen. Die Protagonistin lebte als Kind bei – nicht mit – einer Familie mit einer deutschen Mutter und ist aufgrund ihrer Sprachkenntnisse im Flüchtlingsheim als Dolmetscherin sehr gefragt. Gefragt wird sie selber allerdings nicht, ob und wann sie als Übersetzerin eingesetzt werden will, und ob sie diese Rolle nicht auch regelmäßig überfordert. Ich jedenfalls nehme, nachdem ich das Buch gelesen habe, mein Engagement genauer unter die Lupe, um der Falle „gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ möglichst auszuweichen.

Um jetzt doch nochmal auf den Krimi zurückzukommen: er ist meiner Meinung nach spannend, realitätsnah und gut erzählt. Für mich ein großer Pluspunkt: Die Autorin verzichtet darauf, jegliche Art von Sensationsgier zu bedienen, sondern erzählt ruhig, besonnen und dennoch fesselnd.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich wünsche mir, dass „Unter Fremden“ in kurzer Zeit eine lange Liste von Vorbestellungen in der Bücherei hat. Verdient hat es das.

fl

Unter Fremden

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