Zwei ehemalige Schulkameraden sehen sich nach Jahren unverhofft in einem Nobelrestaurant wieder. Großes Trara und auf die Frage „Wie geht’s dir?“ kein Moment des Zögerns, ob erst die Kinder oder erst die Gattin belobhudelt werden sollen. Stattdessen, werden mit passender akustischer Untermalung nacheinander Fotos auf den Tisch geknallt „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“, um mit Erfolg und Reichtum zu protzen. Diese legendäre TV-Werbung aus den 90er Jahren ist heute, anders als der geniale Spot „Wenn ich mal groß bin, will ich auch Spießer werden“, ein wenig aus der Zeit gefallen. Im Jahre 2021, wird nämlich nach meiner Befürchtung demnächst beim Stammtisch neben den Aufnahmen vom schlimmstenfalls(?) Reihenhäuschen, Mini-SUV und Schlauchboot, bestenfalls(?) Villa mit Pool, Ferrari und Motorjacht noch mit nicht weniger Stolz der Impfpass als Statussymbol daneben gelegt. Vorausgesetzt, der passende Impfstoff ist darin vermerkt. Am besten der aus guter deutscher Laborarbeit und nicht der, dem Dank emsiger medialer und politischer Verunsicherung der Hauch des Ladenhüters anhaftet.
Liebe Reporter/innen, Journalist/innen und Redakteur/innen, ja in Zeiten, in denen das öffentliche und kulturelle Leben eingeschränkt ist, ist es schwierig Zeitungen so zu füllen, dass nicht irgendwo der weiße Kasten mit dem Hinweis „Platz für Notizen“ auftaucht. Aber der in Saure-Gurken-Zeiten gerne umgesetzte Anspruch „aus einem Furz einen Donnerschlag“ machen zu können, sollte gerade dann, wenn wissenschaftliche Expertise gefragter ist als Sensationslust, nur mit größter Sorgfalt angewendet werden.
Tauschen sich Diabetiker/innen regelmäßig darüber aus, welche Insulin-Marke sie spritzen? Oder begrüßen sich junge Frauen mit, „Du, ich nehm jetzt die Pille von xyz“? Was kommt als Nächstes? Ein Wettbewerb in Sachen Saugfähigkeit von Inkontinenz- und/oder Menstruations-Produkten beim Brunch im Familienkreis?

Ich kann es sehr gut verstehen, dass jemand ihre/seine Mitmenschen gerne an der Freude teilhaben lässt, endlich den ersehnten Impftermin bekommen zu haben (ich habe auch direkt meine Kinder benachrichtigt). Aber spielt es eine Rolle, welches Präparat dabei zum Einsatz kommt?
Millionen Menschen lassen sich jedes Jahr gegen Grippe impfen. Diejenigen darunter, die ich kenne, haben mir noch nie erzählt, mit welchem Präparat, und welche Untersuchungsergebnisse und Informationen sie vor dem Impftermin ergoogelt haben.
Und wer nach Afrika oder Asien reist, lässt vorher freiwillig zwischen einem halben und einem Dutzend Impfungen über sich ergehen, übrigens ganz ohne von Impflicht zu faseln oder unerträgliche historische Vergleiche mit selbst gebastelten „Abzeichen“ zu ziehen. Ich wage es, finanziell schmerzhafte Wetten anzubieten, dass nur ein Bruchteil der Reisenden den Hauch einer Ahnung hat, auf welcher Wirkungsweise die Impfstoffe basieren, oder von wem und wo sie hergestellt wurden. Nichts, dasss es darüber keine Infoormationen gäbe, es interessiert nur so gut wie niemanden.
Glauben diejenigen, die nicht selten mit einem gewissen Anflug von so etwas wie Stolz mitteilen, dass ihnen der Corona-Impfstoff einer bestimmten Hersteller-Firma gespritzt wurde, tatsächlich Qualitätsunterschiede beurteilen zu können? Auf welcher Basis denn bitte? Persönliche Vergleichsmöglichkeiten zu anderen Präparaten und deren Langzweitwirkungen sind da eher ausgeschlossen. Und dass sich Laien durch mehrere wissenschaftliche Untersuchungen diverser Impfstoffe wühlen und dabei in regelmäßigen, je nach Vorbildung kürzeren oder längeren Zeitabständen mit Fachbegriffen konfrontiert werden, die sie erst mal nachschlagen müssen, übersteigt mein Vorstellungsvermögen.
Stiftung Warentest eignet sich in diesem Fall auch nicht wirklich als Informationsquelle. Der nicht selten überheblich anmutende Stolz auf Forschungsergebnisse „Made in Germany“ einiger Presseorgane aber erst recht nicht.
Ja, ich persönlich finde es gut und richtig, wenn sich möglichst viele Menschen gegen Corona impfen lassen. Und ich finde es erst recht gut und richtig, sich vorher zu informieren und bei eventuellen Unsicherheiten Antworten auf die jeweiligen Fragen zu suchen, um sich für oder gegen ein bestimmtes Präparat zu entscheiden. Aber bitte bei denen, die diese Fragen am besten beantworten können, nämlich den Hausärzt/innen des Vertrauens. Die können dann auch erklären, was es mit dem Begriff „Impfstatus“ auf sich hat, und warum der mal so gar nichts mit „mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Impfstoff“ zu tun hat.
fl
