Von wegen, Freizeitaktivitäten in diesen verrückten Zeiten einschränken. Im Gegenteil, neue suchen und finden ist jetzt angebracht. Keine Sorge, ich bin nicht plötzlich zur Corona-Rebellin mutiert, ich werde nur nicht aufhören Bücher zu lesen, zu stricken und zu nähen (die ersten beiden Tätigkeiten bei gutem Wetter sogar aushäusig aussüben). Und ich habe eine neue Freizeitaktivität für mich entdeckt, ich übe mich im Zeichnen.
Daran, dass in jedem Menschen irgendwelche Talente schlummern, glaube ich fest. Sollte in mir allerdings ein Talent zum Zeichnen und Malen schlummern, liegt es seit über einem halben Jahrhundert in einem nahezu komatösen Tiefschlaf. Begriffe wie „Perspektive“ und „Proportionen“ sind mir durchaus bekannt – auch ihre Bedeutung, an der praktischen Umsetzung scheitere ich aber immer wieder, nicht selten in grandiosem, aber amüsantem Ausmaß. Mal eben schwungvoll einen Kreis aufs Papier zu bringen, sieht bei mir meistens aus, als wolle ich eine Grußkarte zu Ostern gestalten.
Da ich jetzt kein großer Fan von Misserfolgen bin, habe ich zeichnerisches Können immer gerne neidlos anderen überlassen und mich gewundert, aus welchem Genpool meine Lieblingstochter sich diesbezüglich wohl bedient hat. Ja, ich weiß, Üben, Üben, Üben kann gewisse fehlende Talente ein ganzes Stück weit ausgleichen, aber mir fehlte oft die Zeit und meist auch die Lust, mich am Bleistift zu versuchen, um mehr damit anzustellen, als einen Einkaufszettel zu schreiben oder Abnäher zu markieren.
Und dann kam dieser vermaledeite Virus, der mir meine aushäusigen, ehrenamtlichen Aktivitäten versaute. Lust zu putzen, zu schrubben, zu wienern und ständig auf und umzuräumen ist in meinem genetischen Pool auch nicht vorgesehen (in dem der Lieblingstochter ebenfalls nicht, also hat sie doch was von mir geerbt), und als mein Erstgeborener in einem ganz anderen Zusammenhang von dem Buch „Ich kann 1 000 Dinge zeichnen“ erzählte, war mein Interesse geweckt.

Allein schon der Titel gefiel und gefällt mir ausnehmend gut, denn ich kann eben nicht 1 000 Dinge zeichnen, möchte aber gerne lernen, erst mal zehn Dinge zeichnen zu können. Und zwar so, dass man sie nicht nur auf den ersten Blick ohne Raterei erkennen kann, sondern dass die Zeichnung auch noch nett aussieht.
Also habe ich dem örtlichen Buchhandlung in Corona-Zeiten mit telefonischer Bestellung und persönlicher Abholung ein Umsatzplus im niedrigen zweistelligen Euro-Bereich beschert. Zu den unter zehn Ocken für das Buch kamen noch Bleistift, Anspitzer und ganz, ganz wichtig zum Zwecke der Ressourcenschonung von Wäldern und Wasser für die Papierherstellung ein Radiergummi.*
Beim ersten Blick ins Buch kam erst einmal Staunen darüber, welche 1 000 Dinge man denn so alles zeichnen kann mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung mit maximal sechs Einzelbildern. Auf den zweiten Blick kam die Ernüchterung: Weder Strickzeug noch Nähmaschine gehören dazu.
Dafür aber übersichtlich in neun verschiedene Kategorien unterteilt, deutlich mehr Dinge von Aal bis Zypresse , als ich sie in diesem Leben jemals zeichnen werde. Dank eines Registers am Ende kann ich mir zielgerichtet aussuchen, womit ich vielleicht einfach aus Spaß an der Freude einen Erinnerungszettel oder ein leeres Blatt im Notizbuch verzieren möchte. Den Ehrgeiz, meine Wände irgendwann mit Selbstgestricheltem, vielleicht sogar durch Farbe ergänzt, schmücken zu wollen, habe ich sicherlich nicht. Ich kenne meine Grenzen und viele abschreckende Beispiele.
Warum auch immer, habe ich mir als eines meiner ersten Übungsobjekte einen Froschkönig ausgesucht, und war tatsächlich ein bisschen stolz über das Ergebnis. Vor allem aber habe ich gemerkt, dass das Zeichnen für mich eine entspannende Wirkung hat. Wenn mir mal wieder tausend Sachen durch den Kopf gehen, ich mich über irgend etwas mächtig ärgere (häufig über Politik und aktuell über politisierende Schauspieler/innen), oder ich mir Sorgen um Freundinnen machen, denen gerade die üblichen Kontakte und Aktivitäten noch mehr fehlen als mir, dann kann ich tatsächlich sehr gut abschalten, wenn ich mich in Linienführung und Proportionen übe. Es ist beim Zeichnen eine Konzentration, die mich nicht anstrengt, aber wunderbar ablenkt. Zugegebenermaßen löst sie manchmal auch etwas Ärger aus, wenn das Ergebnis meiner Bemühungen ziemlich stümperhaft aussieht. Das liegt aber an mir und meinem Unvermögen und nicht an den Anleitungen im Buch. Im Gegenteil, das motiviert mich, es solange zu versuchen, bis ich mit dem gezeichneten Gegenstand einigermaßen zufrieden bin. Sogar ohne den sonst oft dringlichen Wunsch „Göttin, schenk mir Geduld. SOFORT!“
*Inzwischen ist das Buch auch in der schönsten Bücherei des Städtchens zur Ausleihe coronakonform zu bestellen und abzuholen. Ratet, wer vorgeschlagen hat, es in den Bestand aufzunehmen ;-)?
fl
