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Portion Senf dazu?

Die Bücherei St. Lamberti bloggt

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Kriegerisches Mimimi

Sie machen in Deutschland 50 Prozent der Bevölkerung aus. In ein Bürgermeister/in-Büro haben es circa 20 Prozent geschafft, gut 30 Prozent in den Bundestag oder den Aufsichtsrat einer der 200 größten Firmen. Sie verdienen im Durchschnitt 20 Prozent weniger als ihre Kollegen, übernehmen aber täglich über 50 Prozent mehr an, natürlich unbezahlter Arbeit in Haushalt, Erziehung und Pflege als ihre Partner. Wie muss mann da gestrickt sein, sich von Frauen bedroht zu fühlen, die viel zu beschäftigt sein dürften, sich mit ihren eigenen Rechten zu befassen,  sie einzufordern und durchzusetzen, als dass sie noch Zeit und Energie hätten, Männern irgendwelche Rechte streitig machen zu wollen?

Ja, solche Männer gibt es. Weltweit, gut vernetzt in ihrer Mischung aus Frauenfeindlichkeit, Antifeminismus, Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus zunehmend gefährlich,  wie Tobias Ginsburg nach ausgiebiger Undercover-Recherche, nicht nur in Deutschland, in seinem Buch „Die letzten Männer des Westens – Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats“ beschreibt. Wie diese selbsternannten Krieger ticken wird in einem erschreckenden Beispiel ziemlich zu Anfang des Buches deutlich, als Ginsburg von einer Veranstaltung des FDP nahen Vereins „Liberale Männer“ berichtet.

Achtung, Triggerwarnung!

Dort bezeichnete ein Redner es als „Genitalverstümmelung“, wenn eine Frau sich mit einem gezielten Tritt gegen einen Vergewaltiger wehrt und empfiehlt gleichzeitig, dass Männer ebenfalls zutreten sollen um sich gegen gewaltbereite Frauen zu wehren können, die ihre Autos zu zerkratzen drohen.

Zitat auf Seite 51: So ein „Tritt gegen die Klitoris“ würde Wunder wirken. Sicher, die Frau „dort günstig zu treffen“ sei bedeutend schwerer als bei einem Mann, aber dafür nicht ansatzweise so inhuman: „Denn bei einem Mann sind zerstörte Genitalien langfristig. Er wird auf Dauer seines Lebens zeugungs- oder geschlechtsunfähig sein. Wenn hingegen die Klitoris zerstört wird, zieht das wohl in den Bauchraum rein, aber die Frau kann natürlich noch Kinder austragen.

Das war das erste, aber nicht letzte  Mal, dass ich überlegt habe, das Buch zuzuschlagen und wegzulegen. Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich es für wichtig halte, nicht nur um von den offensichtlichen Erscheinungen von Frauenfeindlichkeit zu wissen, sondern auch von der seltener beschriebenen Verbreitung und Vernetzung.

Bekannt, nicht zuletzt durch Terroristen wie Anders Breivink (Utøya) und Stefan B. (Halle), sind die selbsternannten Incels (involuntary celibates), die ihr „unfreiwilliges Zölibat“ den gemeinen, fiesen, selbstsüchtigen Frauen zuschieben, anstatt mal drüber nachzudenken, ob regelmäßiges Duschen, gepflegte Kleidung und angemessene Umgangsformen ihr Leiden nicht beenden könnte. Ganz ehrlich: immer, wenn ich deren Jammerei irgendwo lese, fällt mir als erstes der dumme Spruch ein, „wer poppen will, muss freundlich sein“ (nicht meine Wortwahl, der Spruch lautet so – oder ähnlich, wobei die Abwandlungen auch nicht besser klingen).

Weniger bekannt ist die Frauenfeindlichkeit in stramm rechten Männerbünden, angefangen von dem bereits erwähnten politischen Verein und Gleichgesinten in der AfD, über radikale, angebliche „Lebensschützer“ (ebenfalls mit AfD-Beteiligug) bis hin zu ewiggestrigen, rassistischen Studentenverbindung, gerne auch von der Sorte, die mit Säbeln aufeinander losgehen, um sich freiwillig ihre Gesichter zu verunstalten.

Und kaum bekannt sind die internationalen Netzwerke, Verflechtungen und Kollaborationen der misogynen Paschas und ihren weiblichen Mitstreiterinnen, die emanzipatorisch irgendwo in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stecken geblieben sind.

Die von Tobias Ginsburg geschilderten Erlebnisse und Begegnungen sorgen allerdings dafür, dass der Kampf gegen den Feminismus, und damit gegen selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen nicht länger im Verborgenen bleibt. Und das ist m. E. sehr wichtig, denn neben ihrer Frauenfeindlichkeit eint die Protagonisten der Bewegung auch ein unverblümter Rechtsextremismus mit den bekannten Begleiterscheinungen wie eben Rassismus, aber auch Antisemitismus und Queer-Feindlichkeit.

Es ist ganz sicher keine leichte Lektüre, unterhaltsam schon mal gar nicht. Dennoch eine glasklare Empfehlung von mir, denn die Fakten sind gut recherchiert und dargestellt, wobei Ginsburg dafür ein besonderer Dank gebührt. Sich als Jude undercover unter bierseelige Rechtsextreme zu mischen, hätte auch ganz böse enden können.

Dass sich einiges in dem Buch wiederholt, liegt nicht am Autor, sondern an der Ausbreitung des Antifeminismus und immer gleichen Motiven von Männern, die sich selber durchaus als Helden stilisieren, sich aber sehr schnell als, mit Verlaub, Schlappschwänze entlarven. Einerseits neigen sie zwar zu Brutalität und Ausübung körperlicher Gewalt, andererseits haben sie aber nicht mehr zu bieten, als ihre eigentliche Erfolgslosigkeit und ihre Furcht vor selbstbewussten Frauen zu bejammern, statt mal selber selbstbewusst genug zu werden sich um soziale und gesellschaftliche Anerkennung zu bemühen. Unentwegtes und unbegründetes Mimimi ist da keine erfolgversprechende Ausgangsposition.  

fl

Wie Erinnerung bleibt

Sie werden immer weniger, die Zeitzeug/innen des Zweiten Weltkrieges, der Nachkriegsjahre mit Hunger und Kälte, deren körperlichen und psychischen Auswirkungen und dem Bemühen um die Verarbeitung des Schreckens, der nicht selten im Bemühen um schweigendes Vergessen mündete. Umso wichtiger, dass Erinnerungen überliefert und erhalten bleiben, und auch die Kinder der damaligen Zeitzeug//innen diese Aufgabe übernehmen und aus ihrer Perspektive ganz neue Denkanstöße liefern. So trägt das Buch „Sieben Heringe“ von Jürgen Wiebicke den Untertitel „Meine Mutter, das Schweigen der Kriegskinder und das Sprechen vor dem Sterben“ und ist mit der Widmung versehen „Meinen Kindern. Damit aus Erzählen Weitererzählen wird.“

Mein Vater, hat die letzten Kriegsjahre als fast noch jugendlicher Soldat erlebt, meine Mutter war 15 Jahre, als der Krieg endete und ich kam 12 Jahre später zur Welt. In meiner Kindheit und Jugend hatten alle Erwachsenen, die ich kannte, das so genannte Dritte Reich, Krieg und Nachkriegszeit mehr oder weniger bewusst erlebt. Auch meine Generation, jünger als die Beteiligten der 68er Proteste, ist davon noch strark geprägt, wie stark ist mir erst in späteren Jahren bewusst geworden. Es erklärt mein Interesse an Büchern, beispielsweise von Sabine Bode, und eben dem im vergangenen Frühjahr erschienen von Jürgen Wiebicke.

Mit seinen Eltern hat Wiebicke in den Wochen vor ihrem Tod jeweils Gespräche über deren Vergangenheit geführt, bei seiner Mutter dabei Notizen gemacht, aus der Befürchtung heraus, Wichtiges zu schnell zu vergessen. Die schonungslose Beschreibung der Schrecken der Kriegs-Gewalt und der Armut der frühen Nachkriegsjahre sind beim Lesen oft schwer zu ertragen. Aber an dem, was die Menschen damals mitmachen mussten, ist nun mal Nichts zu beschönigen. Und ja, ich persönlich finde es darf und muss uns Jahrzehnte danach immer wieder mal vor Augen geführt werden, was Menschen sich gegenseitig Entsetzliches antun können, damit wir aus den Fehlern vorheriger Generationen lernen, statt sie nachzumachen. Besonders, da das aktuelle Geschehen in der Ukraine uns zeigt, dass Krieg auch in Europa leider nicht der Vergangenheit angehört und von Menschen verursacht wird, die den Verbrechern von damals in Sachen Machtgier und Grausamkeit in Nichts nachstehen.

Dafür, dass Wiebicke dazu beiträgt die Erinnerungen an den damaligen Kriegsterror und seine Nachwirkungen wach zu halten, bin ich ihm dankbar. Aber auch dafür, wie er mit dem Thema Tod und Sterben umgeht, wie er fragende Hilflosigkeit und Zerrissenheit der Zurückbleibenden schildert. Auch hier, wie im gesamten Buch, gibt er tiefe Einblick in Persönliches, ohne jemals seine eigene Privatsphäre und die seiner Angehörigen zu verletzen, lässt an pragmatischen und philosophischen Überlegungen teilhaben und hält, last but not least, ein überzeugendes Plädoyer für ein Lebensende im Hospiz, wenn Alltag in den eigenen vier Wänden und Unterstützung und  eventuell notwendige Pflege durch Angehörige an ihre Grenzen gekommen sind.

Als ich angefangen habe, dieses Buch zu lesen, habe ich nach wenigen Seiten beschlossen, an dieser Stelle darüber zu schreiben und Stellen markiert, die mir so auf-/gefielen, oder die ich für so wichtig fand, dass ich sie dabei zitieren wollte. Es sind so viele geworden, dass ich mich jetzt auf Eines beschränke: die Empfehlung, dieses Buch unbedingt zu lesen. Für mich gehört es zu denen, die ich nach der Rückgabe in der Bücherei im örtlichen Buchhandel kaufen werde, damit es jederzeit griffbereit im Regal steht, weil ich bestimmt viele Passagen oder auch nur einzelne Absätze noch mal nachschlagen möchte. Nachdem ich es irgendwann das zweite oder sogar dritte Mal von vorne bis hinten gelesen habe.

fl

Der gestrichelte Froschkönig

Von wegen, Freizeitaktivitäten in diesen verrückten Zeiten einschränken. Im Gegenteil, neue suchen und finden ist jetzt angebracht. Keine Sorge, ich bin nicht plötzlich zur Corona-Rebellin mutiert, ich werde nur nicht aufhören Bücher zu lesen, zu stricken und zu nähen (die ersten beiden Tätigkeiten bei gutem Wetter sogar aushäusig aussüben). Und ich habe eine neue Freizeitaktivität für mich entdeckt, ich übe mich im Zeichnen.

Daran, dass in jedem Menschen irgendwelche Talente schlummern, glaube ich fest. Sollte in mir allerdings ein Talent zum Zeichnen und Malen schlummern, liegt es seit über einem halben Jahrhundert in einem nahezu komatösen Tiefschlaf. Begriffe wie „Perspektive“ und „Proportionen“ sind mir durchaus bekannt – auch ihre Bedeutung, an der praktischen Umsetzung scheitere ich aber immer wieder, nicht selten in grandiosem, aber amüsantem Ausmaß. Mal eben schwungvoll einen Kreis aufs Papier zu bringen, sieht bei mir meistens aus, als wolle ich eine Grußkarte zu Ostern gestalten.

Da ich jetzt kein großer Fan von Misserfolgen bin, habe ich zeichnerisches Können immer gerne neidlos anderen überlassen und mich gewundert, aus welchem Genpool meine Lieblingstochter sich diesbezüglich wohl bedient hat. Ja, ich weiß, Üben, Üben, Üben kann gewisse fehlende Talente ein ganzes Stück weit ausgleichen, aber mir fehlte oft die Zeit und meist auch die Lust, mich am Bleistift zu versuchen, um mehr damit anzustellen, als einen Einkaufszettel zu schreiben oder Abnäher zu markieren.

Und dann kam dieser vermaledeite Virus, der mir meine aushäusigen, ehrenamtlichen Aktivitäten versaute. Lust zu putzen, zu schrubben, zu wienern und ständig auf und umzuräumen ist in meinem genetischen Pool auch nicht vorgesehen (in dem der Lieblingstochter ebenfalls  nicht, also hat sie doch was von mir geerbt), und als mein Erstgeborener in einem ganz anderen Zusammenhang von dem Buch „Ich kann 1 000 Dinge zeichnen“ erzählte, war mein Interesse geweckt.

Allein schon der Titel gefiel und gefällt mir ausnehmend gut, denn ich kann eben nicht 1 000 Dinge zeichnen, möchte aber gerne lernen, erst mal zehn Dinge zeichnen zu können. Und zwar so, dass man sie nicht nur auf den ersten Blick ohne Raterei erkennen kann, sondern dass die Zeichnung auch noch nett aussieht.

Also habe ich dem örtlichen Buchhandlung in Corona-Zeiten mit telefonischer Bestellung und persönlicher Abholung ein Umsatzplus im niedrigen zweistelligen Euro-Bereich beschert. Zu den unter zehn Ocken für das Buch kamen noch Bleistift, Anspitzer und ganz, ganz wichtig zum Zwecke der Ressourcenschonung von Wäldern und Wasser für die Papierherstellung ein Radiergummi.*

Beim ersten Blick ins Buch kam erst einmal Staunen darüber, welche 1 000 Dinge man denn so alles zeichnen kann mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung mit maximal sechs Einzelbildern. Auf den zweiten Blick kam die Ernüchterung: Weder Strickzeug noch Nähmaschine gehören dazu.

Dafür aber übersichtlich in neun verschiedene Kategorien unterteilt, deutlich mehr Dinge von Aal bis Zypresse , als ich sie in diesem Leben jemals zeichnen werde. Dank eines Registers am Ende kann ich mir zielgerichtet aussuchen, womit ich vielleicht einfach aus Spaß an der Freude einen Erinnerungszettel oder ein leeres Blatt im Notizbuch verzieren möchte. Den Ehrgeiz, meine Wände irgendwann mit Selbstgestricheltem, vielleicht sogar durch Farbe ergänzt, schmücken zu wollen, habe ich sicherlich nicht. Ich kenne meine Grenzen und viele abschreckende Beispiele.

Warum auch immer, habe ich mir als eines meiner ersten Übungsobjekte einen Froschkönig ausgesucht, und war tatsächlich ein bisschen stolz über das Ergebnis. Vor allem aber habe ich gemerkt, dass das Zeichnen für mich eine entspannende Wirkung hat. Wenn mir mal wieder tausend Sachen durch den Kopf gehen, ich mich  über irgend etwas mächtig ärgere (häufig über Politik und aktuell über politisierende Schauspieler/innen), oder ich mir Sorgen um Freundinnen machen, denen gerade die üblichen Kontakte und Aktivitäten noch mehr fehlen als mir, dann kann ich tatsächlich sehr gut abschalten, wenn ich mich in Linienführung und Proportionen übe. Es ist beim Zeichnen eine Konzentration, die mich nicht anstrengt, aber wunderbar ablenkt. Zugegebenermaßen löst sie manchmal auch etwas Ärger aus, wenn das Ergebnis meiner Bemühungen ziemlich stümperhaft aussieht. Das liegt aber an mir und meinem Unvermögen und nicht an den Anleitungen im Buch. Im Gegenteil, das motiviert mich, es solange zu versuchen, bis ich mit dem gezeichneten Gegenstand einigermaßen zufrieden bin. Sogar ohne den sonst oft dringlichen Wunsch „Göttin, schenk mir Geduld. SOFORT!“

*Inzwischen ist das Buch auch in der schönsten Bücherei des Städtchens zur Ausleihe coronakonform zu bestellen und abzuholen. Ratet, wer vorgeschlagen hat, es in den Bestand aufzunehmen ;-)?

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Für’s allerallererste Mal doch gar nicht sooo schlecht, oder?

Wenn es nicht mehr summt

„Die Geschichte der Bienen“ der Norwegerin Maja Lunde in der Übersetzung von Ursel Alleinstein war 2017 in Deutschland das meistverkaufte Buch und ist bis vor Kurzem über den Titel hinaus an mir vorbeigegangen. Als passionierte Krimileserin mit wenig Hang zu Düsternis und Brutalität gucke ich eher selten in die skandinavische Ecke, habe mir aber festgenommen, meine Vorurteile nicht länger auf andere Kategorien in den Bücherei-Regalen auszuweiten. Besten Dank an die Kolleg/innen, die mich meine Auswahlkriterien haben überdenken lassen, weil sie dieses tolle Buch als für mich geeigneten Lesestoff ganz richtig eingeschätzt haben.

Das Thema an sich, ist mir natürlich nicht neu und beschäftigt viele Menschen, auch schon lange vor Erscheinen von Lundes Buch. Es ist nicht sicher, ob das folgende Zitat tatsächlich von dem vor über 60 Jahren verstorbenen Albert Einstein stammt, es wird aber von Jahr zu Jahr aktueller und dringlicher:

„Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Pflanzen, keine Tiere, keine Menschen mehr.“

Einen Ausblick darauf, wenn das Ende dieser vier Jahre sich nähert, liefert in der „Geschichte der Bienen“ Tao, Mutter eines kleinen Sohnes und ebenso wie ihr Mann und viele andere Chines/innen zwangsverpflichtet zur manuellen Blütenbestäubung in einer Obstplantage im Jahr 2098. Auf den ersten Blick hat Tao nichts gemeinsam mit den anderen beiden Haupt-Protagonisten des Buches, dem vom Forscherglück verlassenen Biologen William im England des Jahres 1852 und dem Berufsimker George, der 2007 auf einer Farm im US-Staat Ohio lebt.

Die Geschichten der Drei werden in mehreren, sich abwechselnden Episoden erzählt, wobei der Wechsel von einem Erzählstrang zum anderen zwar abrupt, aber nicht störend ist. Das liegt nach meinem Empfinden daran, dass alle Geschichten gleich interessant, zum Teil spannend sind und die Empfindungen und Gemütslagen der Beteiligten sehr ein- und nachfühlsam beschrieben sind.

Wenn William monatelang Beruf (für den Lebensunterhalt seiner großen Familie arbeitet er als Samenhändler) und sich selbst völlig vernachlässigt, weil er es nicht mehr schafft aus dem Bett zu kommen, fällt nicht einmal das Wort „Depression“. Bis die als Krankheit (an)erkannt war, auch als eine, von der Männer betroffen sein können, gingen noch viele, viele Jahre ins Land. Deutlich erkennbar ist sie aber für die Leser/innen, ebenso wie eine therapeutische Wirkung der Beschäftigung mit Bienenvölkern. Die Zerrissenheit von George zwischen der Liebe zu Frau und Sohn, dem Wunsch, die berufliche Familientradition weiter zu führen und weiter zu geben und den zunehmenden existentiellen Problemen bis hin zum drohenden Ruin ist leider nicht nur Fiktion. Sie ist ebenso nachfühlbar dargestellt, wie das stille Aufbegehren Taos gegen ihr fremdbestimmtes Leben in Armut und ihre Hoffnung auf bessere Lebensumstände für ihren Sohn, der plötzlich unter mysteriösen Umständen seinen Eltern entrissen wird.

Jedes Schicksal der drei unter völlig unterschiedlichen Bedingungen lebenden Personen, wäre fast schon einen eigenen Roman wert. Zusammengefasst und gegenübergestellt in ihrem Buch hat Maja Lunde aber die große Chance geschaffen und genutzt, verständlich und nachvollziehbar zu machen, wie wichtig ein gerade mal knapp eineinhalb Zentimeter kleines Tierchen ist, damit das Zusammenspiel in der Natur als gesunde Lebensgrundlage für Pflanzen, Tiere und Menschen auch weiterhin funktioniert.

Es liegt an uns allen dafür zu sorgen, dass in der Geschichte der Bienen nicht bald das letzte Kapitel geschrieben werden muss.

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Katzenstreu am Fenster

oder: Nummer Drei als letzte von Vieren

Vorab, es liegt nicht an der Auswahl der Kolleg/innen, dass ich über „Das Gewicht von Schnee“ in meinem Überraschungspaket nichts schreiben werde. Ich habe es nicht mal aufgeschlagen und plane auch erstmal nicht das nachzuholen, wenn die Schneeschäden aus dem Februar in meinem Wohnzimmer vollständig behoben sein werden.

Eigentlich war es ja ganz pfiffig, dass ausgerechnet dieses Buch vor ein paar Wochen seinen Weg in das Paket fand, als der Wetterbericht für die kommenden Tage ungewohnte Schneemengen für das Münsterland androhte. Niemand konnte ahnen, dass kurz drauf allein schon das Wort „Schnee“ bei mir für eine Laune weit unterhalb der Kellerkante sorgte, nachdem zwei Tage lang mehrere Liter Tauwasser stetig und gut hörbar in mein Wohnzimmer tropften.

Treue Leser/innen wissen, dass ich im Dachgeschoss wohne, ich jammere schließlich jeden Sommer, wenn bei 30 und mehr Grad die Innen- sich unaufhaltsam den Außentemperaturen nähern. Was wiederum ich (meine Vermieter wohl auch) bisher nicht wusste: Wenn feiner, leichter Schnee bei starkem Ostwind den Weg durch die Dachpfannen findet, um es sich auf der Isolierung gemütlich zu machen, muss das Tauwasser nicht zwangsläufig in der Dachrinne landen. Es kann sich seinen Weg auch über die Dachfenster-Verkleidung in ein gutes Dutzend Eimer und Schüsseln suchen. Frühlings-Deko im Wohnzimmer der besonderen Art…

Glücklicherweise fand wenige Tage drauf das für Februar ungewohnt laue Lüftchen seinen Weg zwischen den Dachpfannen zügig zur Isolierung, so dass die relativ schnell trocknete. Unterstützt von Innen durch schnell genähte, mit Katzenstreu gefüllte Säckchen, die ganz sicher auch nicht als Frühlings-Deko durchgingen. Der Trockenbauer war in der vergangenen Woche erfolgreich im Einsatz, der Anstreicher hat sich für die kommende Woche angesagt. In der Zwischenzeit verteilt sich der Inhalt von drei Regalen, die zur Seite geräumt werden mussten, im Wohnzimmer. Noch ein Spruch über Frühjahrs-Deko wäre jetzt albern.

Da ist es doch gut, dass mich Überraschungspaket-Buch Nummer Drei so gefesselt hat, dass mich das Drumherum nicht mehr störte. Warum ich hoffe, dass noch viele Menschen dieses Lese-Erlebnis mit mir teilen werden, schreibe ich in den nächsten Tagen. Gleiche Stelle, gleiche Welle.

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Paketlektüre Nummer Zwei

Nach dem kleinen unterhaltsamen Büchlein von Renate Bergmann, das sich in die gelungenen und witzigen Erzählungen von Torsten Rohde nahtlos einreiht (womit das Wichtigste darüber gesagt ist), war meine zweite Lektüre aus dem Überraschungs-Paket für Corona-Zeiten „Brandsätze“ von Stephen Cha, übersetzt von Karen Witthuhn. Mit seiner Einschätzung „Ich dachte, das wäre was für dich“ hat der beste Büchereileiter des Städtchen Recht behalten.

So sehr, dass ich dieses Buch uneingeschränkt weiterempfehlen kann an alle, die sich für aktuelle Fragen aus Politik und Gesellschaft interessieren und gerne gute und gut geschriebene Romane lesen. Ob Letzteres der Autorin, der Übersetzerin oder dem Zusammenspieler Beider zuzuschreiben ist, weiß ich nicht. Hauptsache gut.

Auch wenn die Handlung des Buches ganz aktuell im Jahr 2019 stattfindet, ist sie angelehnt an das Geschehen aus dem Jahre 1991 in Los Angeles, das neben anderen ein paar Monate später zu Unruhen mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Los Angeles führte, die über 50 Menschen das Leben kosteten, tausende Verletzte forderte und Sachschäden in Milliardenhöhe verursachte.

Damals wurde eine 15jährige Afroamerikanerin von einer koreanischen Ladeninhaberin, die sie fälschlich des Ladendiebstahls verdächtigte, durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet. Die Täterin kam mit einer Bewährungsstrafe davon und wird im Buch Jahre später mit neuer Identität auf einem Parkplatz angeschossen.

Um für künftige Leser/innen den Spannungsbogen nicht zu (zer)stören, möchte ich den fiktiven Handlungsfaden des Buches hier nicht näher beschreiben, kann aber versichern, dass er abwechslungsreich, fesselnd und sehr realistisch ist. Oft so realistisch, dass es für mich, die die Lebensumstände farbiger US-Bürger/innen im Alltag nur aus dritter Hand kennt, manchmal fast klischeehaft anmutet. Was letztlich zu der Erkenntnis führt: es ist Vieles dort noch schlimmer, als ich mir bisher, diesbezüglich wenig optimistisch, vorgestellt habe.

So ereifert sich der Cousin der damals 15jährigen Getöteten gegenüber seinem Neffen im nahezu gleichen Alter: „Ich bin von gar nichts überzeugt“, fauchte Shawn. „Was ich glaube, ist völlig egal. Was ich glaube, kann dich nicht vor dem Knast bewahren. … Kein einziger Richter würde auf mich hören. Wenn die denken, dass ein schwarzes Leben nichts wert ist, dann ist ein schwarzes Leben nichts wert.“

Die Verbindungen zwischen der schwarzen Familie des Opfers und der koreanischen Familie der Täterin, die Jahrzehnte später selber zum Opfer wird, sind oft unvermeidlich, meist unerwünscht, aber auch mal aktiv gesucht Sie zeichnen ein Bild von Problemen, Ängsten, Vorurteilen, aber auch Wünschen und Ansprüchen, die trotz gänzlich verschiedener Lebensweisen auch Gemeinsamkeiten haben.

Manche Entwicklungen sind absehbar, da nahezu unvermeidlich, andere völlig überraschend und erzeugen eine Spannung, die den Leseabend schon mal länger werden lässt, als eigentlich gedacht geplant.

Neben der Empfehlung an Bücherei-Nutzer/innnen, „Brandsätze“ auszuleihen/vorzubestellen, auch eine an die Bücherei-Mitarbeiter/innen: Packt das Buch öfter in ein Überraschungspaket.

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„Omi“ überrascht im Paket

Dialog zwischen einer ehrenamtlichen (E) und zwei hauptamtlichen (H) Bücherei-Mitarbeiter/innen:

E. „So ein Überraschungspaket hätte ich auch gerne. Stellt mal bitte eins für mich zusammen. Wenn’s geht, würde ich es mir gerne morgen abholen.“

H: „Hast du denn bestimmte Vorstellungen oder besondere Wünsche?“

E: „Nee, macht ihr mal, das ist doch das Besondere, zu sehen, wie ihr meine Lese-Vorlieben so einschätzt, nachdem wir uns ja schon ein paar Jährchen kennen. Lasst euch mal was einfallen, dann schreib ich vielleicht was darüber, was wir dann im Bücherei-Blog online stellen können.“

Am nächsten Tag lag mein Überraschungspaket prompt zur Abholung bereit, und das erste worauf mein Blick fiel war der Ausschnitt eines Buchcovers:

An dieser Stelle endet die Wiedergabe des Dialogs zwischen einer ehrenamtlichen (E) und zwei hauptamtlichen (H) Bücherei-Mitarbeiter/innen. Grund ist nicht das abgebildete Glas mit mutmaßlich alkoholischem Inhalt.

Der Blogbeitrag zum Thema „Überraschungspaket“ wird aber fortgesetzt, denn die Idee finde nicht nur ich einfach klasse, die Umsetzung bis auf einen kleinen Ausrutscher *räusper* ebenfalls.

Bekanntlich ist die Bücherei seit Wochen geschlossen, was aber nicht bedeutet, dass sich die Leser/innen nicht weiterhin mit Lesestoff versorgen können. Im Online-Katalog oder mit der Bücherei-App Bücher aussuchen, per Anruf oder Mail bestellen und am nächsten Tag abholen. Funktioniert super und wird auch gerne genutzt.

Was fehlt, ist der Gang durch die Regalreihen und der Griff, mal hier mal da ins Regal um in Ruhe seine persönliche Auswahl treffen zu können. Und was ganz besonders fehlt, ist sich von den Bücherei-Mitarbeiter/innen auf die Sprünge helfen zu lassen, wenn man von dem riesigen Angebot so überfordert ist, das man nicht fündig wird.

Und da hatte der beste Bücherei-Leiter des Städtchens die pfiffige Idee mit dem Überraschungspaket, ebenfalls zur kontaktlosen Abholung. Die interessierten Leser/innen können mit den Mitarbeiter/innen telefonisch absprechen, welche ihrer Interessensgebiete sich in dem Paket wiederfinden lassen und welche Prioritäten eventuell bei der Auswahl gesetzt werden könnten/sollten/dürften.

Der Leserschaft scheint diese Idee richtig gut zu gefallen, täglich gibt es mehrere Bestellungen. Die ersten Pakete wurden bereits nach Lektüre zurückgebracht, meist mit einem herzlichen Dank für die gelungene Auswahl und nicht selten mit der Bitte, ein weiteres zusammenzustellen.

Und auch diejenigen, deren Job es ist, die Wünsche der Leser/innen überraschend zu erfüllen, erledigen diese Aufgabe sehr gerne, denn im Normalbetrieb haben sie keine Zeit entspannt durch die Regalreihen zu schlendern, in Ruhe zahlreiche Klappentexte zu lesen und sich Gedanken über die Beliebtheit bestimmter Bücher zu machen. Und wenn Bilderbücher ins Überraschungspaket sollen, sind auch schon Kolleg/innen dabei gesehen worden, wie sie ganz in Ruhe von vorne bis hinten blätterten, weil sie auf besondere Schätze ganz hinten den Buchkisten gestoßen sind.

Wie mir meine Überraschungs-Bücher gefallen haben, werde ich euch demnächst erzählen, wenn ich sie durchgelesen habe. Nur soviel nach den ersten Seiten: Die Überraschungs-Omi macht Spaß, wenn auch mein Rezept für Rührkuchen besser ist als das von Renate Bergmann.

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Sie haben sich Gedanken gemacht, die Kolleg/innen, die mein Überraschungspaket zusammengestellt haben. Jedenfalls, was aktuell den Schnee betrifft…

#Me Too – wer nicht?

Diese Frage stellte sich vor drei Jahren, als unter dem Hashtag jeden Tag aufs Neue abertausende Frauen weltweit öffentlich davon erzählten, dass sie irgendwann in ihrem Leben mal Opfer von sexueller/sexualisierten Belästigungen, Übergriffen und Angriffen geworden waren. Das Thema hatte es in die Öffentlichkeit geschafft, und wer sich im eigenen Freundinnen- und Bekanntenkreis darüber unterhielt, konnte sich sehr schnell von dem Gedanken verabschieden, ein Einzel- oder sogar Ausnahmefall gewesen zu sein. Nicht nur als Selbstbetroffene, sondern vor allem als seit über vier Jahrzehnten bekennende Emanze, habe ich alle Nachrichten und Diskussionen geradezu aufgesogen und mich schwer über die Täter-Opfer-Umkehr von Kritikern der Bewegung, noch mehr von Kritikerinnen geärgert.

Wenn die Opfer solcher Übergriffe Jahre, sogar Jahrzehnte lang geschwiegen haben, haben sie ihre Gründe dafür gehabt, die ganz allein sie etwas angehen und ganz bestimmt nicht, von einer an Klatsch und Tratsch über Prominente interessierten Öffentlichkeit zu be- oder sogar verurteilen ist. Und wer sich beschwert(e), die Frauen, würden es sich in ihrer Opferrolle bequem machen wollen, wie z. B. Svenja Flaßpöhler, die nicht müde wurde, auf allen Kanälen Werbung für ihr nicht nur im Hinblick auf den Seitenumfang sehr schmales Büchlein zu bewerben, hat nie begriffen, dass sexuelle und sexualisierte Gewalt gegen Frauen ein strukturelles Problem ist. Und das lässt sich nicht allein dadurch lösen lasst, dass es nicht mehr verschwiegen werden kann, und es lässt sich schon gar nicht allein von Frauen lösen (so schön das wäre, denn dann ginge das deutlich schneller).

Das Ganze ist jetzt drei Jahre her, aber noch genauso aktuell, auch wenn aus dem Blick der breiten Öffentlichkeit nahezu verschwunden. Vielleicht weckt das Buch „#ME Too – Von der ersten Enthüllung bis zur globalen Bewegung“ wieder das Interesse. Eine große Leserschaft hat es jedenfalls verdient, finde ich.

Die Autorinnen Jodi Kantor und Megan Twohey sind die Journalistinnen, die mit ihren Recherchen und deren Veröffentlichung in der New York Times über Harvey Weinstein den Anstoß zur weltweiten Me-Too-Bewegung gaben. Wenn ich hier, mal so eben die Begriffe Recherche und Veröffentlichung verwende, dann sind die schnell dahingeschrieben. Das Buch der beiden Journalistinnen beschreibt sehr nachvollziehbar, wie lang und arbeitsreich der Weg von den ersten Hinweisen bis zum gedruckten Zeitungsartikel war. Und fast schon wie ein Krimi liest es sich, wie sie es geschafft haben, sich dem Druck entgegenzusetzen, mit dem nicht nur eine Veröffentlichung verhindert werden sollte, sondern auch weitere journalistische Investigationsarbeit.

Es ist wirklich ein gut geschriebenes Buch, das nie langweilig oder trocken ist, was vor allem daran liegt, dass die beiden Journalistinnen die Gratwanderung zwischen neutraler Darstellung, Empathie für die Opfer und Abneigung gegen die Täter richtig gut hinbekommen haben, trotz aller Bedenken, ob gerade sehr prominente Opfer sexueller Übergriffe und Gewalt ihre mediale Unterstützung brauchten. Schließlich kamen sie zu dem Schluss (S. 72): Eine der wichtigsten Aufgaben des Journalismus war es doch, den Stummen eine Stimme zu geben, denen die meist übergangen werden.

Und so ging es für sie nicht nur um bekannte Schauspielerinnen, sondern auch um Frauen, die nach den sexuellen Angriffen Weinsteins in jungen Jahren umgehend das Filmbusiness verlassen hatten, aber das Geschehen auch nach Jahrzehnten noch nicht aufgearbeitet hatten. Die Zerrissenheit, die in dem Buch beschrieben wird, bei der Entscheidung, Anzeige zu erstatten und sich damit der Öffentlichkeit und deren möglicher Kritik preiszugeben, befeuert von denen, die Täter schützen wollten, um ihre eigene Rolle zu vertuschen, nötigt mir noch größeren Respekt als bisher vor all den Frauen ab, die diesen Schritt gewagt haben.

Sie ermöglichten, dass die in dem Buch beschriebenen seit Jahrzehnten manifestierten Strukturen ein Stück ins Wanken gerieten, die z. B. Weinstein jahrelang vor eine Anklage bewahrten. Sie wurden und werden zum Teil bis heute nicht nur durch Machtansprüche und eine Unmenge Geld gestärkt wurden, sondern auch durch das Schweigen all derer, die Angst um die eigene berufliche Existenz hatten und haben. . Aber auch von denen, die es sich einfach damit bequem gemacht haben wegzusehen, oder aus persönlichem Vorteil schweigen.

An dieser Stelle noch einmal der Hinweis, dass trotz der schwierigen und auch beim Lesen oft belastenden Thematik der Stil von Jodi Kantor und Megan Twohey – sicher unterstützt durch die Übersetzerinnen Judith Elze und Kathrin Harlass – dazu beiträgt, das Buch gerne (weiter) zu lesen, was bei Sachbüchern nicht immer selbstverständlich ist. Dieses aber liest sich wie ein Roman oder Krimi, auch wenn es oft ganz üble Realität beschreibt. Mit anderen Worten: es lohnt sich, es aus dem Bücherei-Regal mit nach Hause zu nehmen.

fl

P.S.: Von mir persönlich noch ein ganz herzliches Dankeschön an alle, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, heute noch leisten und hoffentlich in Zukunft noch leisten werden, dass das Zitat aus dem Buch (S. 234) für Opfer von sexueller Belästigung bis hin zu sexualisierter Gewalt immer selbstverständlicher wird (S. 234): Alle wollten – verständlicherweise – die Kraft und den Schutz der Gesellschaft.

Mit heißen Nadeln für warme Hände

Für die Einen ist langweiliges Aneinanderreihen von Schlaufen, für die Anderen ist es Mediation mit den Händen, für die Einen modischer Fehltritt, für die Anderen eine willkommene Technik, individuelle Kleidungsstücke und Accessoires ohne langwierig und mühsam erworbene Vorkenntnisse anzufertigen. Die Rede ist vom Stricken und Häkeln, und klar gehöre ich bekanntlich zu den Letzteren, die diese Freizeitbeschäftigung überaus schätzen und sie gegen jede Form von Kritik verteidigen. In meinem Fall allerdings nur, solange hässliche Tierchen in Neonfarben, Emojis, Glitzerpullis und Rüschenschals nicht zur Debatte stehen.

Aber ehrlich gesagt, Stricken kann schon mal ganz schön öde sein, nicht nur wenn ich Socken in Größe 46 auf der Nadel habe, sondern auch wenn ich in der Bücherei in Büchern und Zeitschriften nach interessanten Neuheiten suche.

Vielleicht bin ich auch ja etwas anspruchsvoll, aber, wenn ich einmal begriffen habe, wie Spiralsocken gestrickt werden, halte ich ein weiteres Buch, in dem erläutert wird, wie man mit der ursprünglichen Technik Spiralsocken mit andersfarbiger Wolle strickt, für ausgesprochen langweilig und überflüssig. Ähnlich geht es mir mit Schals, Mützen, Dreieckstüchern, Raglan-Pullis und-Jacken und vielen anderen Handarbeiten.

Klar, irgendwann sind viele Techniken des Schlaufen Machens erschöpfend erklärt, da muss das Ganze eine neue Farbe oder einen neuen Namen bekommen, wenn man weiterhin Bücher verkaufen will. Oder man versucht auf den Nachhaltigkeits-Zug aufzuspringen, indem man die Herstellung farbenfroher Putzuntensilien zum neuesten Trend erklärt, und dafür dann ein ökologisch sehr fragwürdiges Garn empfiehlt. Nicht gerade das, was ich mir unter Strickspaß vorstelle, wie hier nachzulesen ist: klick

Aber, oh Glück oh Wonne vieler künftiger Strickabende auf dem heimischen Sofa: ich hab jetzt etwas ganz Neues entdeckt, eine neue Technik und ein neues Design.

Ausgetüftelt von einem deutschen Mann namens Bernd Kestler der in Japan lebt und begeisterter Motorradfahrer ist. Nicht, dass ich strickende Männer für exotisch halte (ich habe selber einen in der Familie), aber die Kombination von Biken und Stricken finde ich dann doch spannend.

Es kostete dann auch keine Überredungskunst, einen mir gut bekannten, hier regelmäßig erwähnten Büchereileiter zu überzeugen, dass das Buch ganz dringend und unbedingt so schnell wie möglich in den Bücherei-Bestand aufgenommen werden muss. Und so begann das neue Jahr für mich damit, mich durch Anleitungen zu fuchsen, was dank vieler Fotos und Strickschriften gar nicht schwer war, und mich mit der sogenannten Kabusehagi-Technik und dem „isländischen Abketten“ vertraut zu machen. Sicher ist seitdem, dass die Isländer in Zukunft ganz sicher auch an der Fertigstellung von anderen Strickstücken beteiligt sein werden.

Wichtiger Insider-Tipp: Überaus hilfreich ist es, sich die Anleitungen genau anzusehen, statt voller Euphorie (und einer Portion Selbstüberschätzung) nach kurzem Blick loszustricken. Dann kann man nämlich unter anderem zur Kenntnis nehmen, dass in den Strickschriften auch Reihen ohne Maschenzunahmen deutlich sichtbar sind. Diese mit einzuarbeiten, wirkt sich sehr positiv auf die Passform aus. Asche auf mein Haupt, aber danach hatte ich das Grundprinzip wirklich umsetzungsreif kapiert. Jedenfalls bin ich hellauf begeistert, sowohl davon, wie einfach es ist, diese Stulpen zu stricken, ohne dass es langweilig wird, als auch davon, welche tollen Effekte z.B. mit Farbverlaufs-Wolle und Mustern erzielt werden.

Auch wenn meine Stricknadeln fast schon heiß laufen, es gibt so viele Varianten, ob aus dem Buch oder nach eigenen Ideen, dass ich noch einige japanische Handstulpen stricken und verschenken werde. Ich bin mal gespannt, wann sich die ersten Träger/innen kennenlernen, weil ihnen auffällt, dass sie nahezu identische Handwärmer tragen. Angesichts der derzeitigen Temperaturen wird das wohl erst in einem anderen Winter pasieren.

Abschließend noch ein Tipp – nicht nur für Insider: Wer sich selbst an diesen Stulpen versuchen möchte mit Hilfe des Buchs von Bernd Kestler aus meiner Lieblingsbücherei, sollte es ganz schnell vorbestellen (die Warteliste ist noch nicht zuuu lang, jedenfalls bis gestern). Und wer sich alleine nicht ganz rantraut, oder sich mit anderen über Tipps und Tricks – auch für andere Techniken und Strickstücke – austauschen möchte: An jedem ersten Freitag im Monat ab 15 Uhr gibt es in der gemütlichsten Bücherei des Städtchens ein offenes Handarbeitstreffen für alle Interessierte, egal ob Anfänger/innen und Fortgeschrittene.

fl

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