„Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich warm und trocken auf einem gut gepolsterten Stuhl, habe eine Tasse heißen Tee neben mir stehen und knabbere ab und zu mal an einem Keks. Und bei dem Thema, über das ich schreiben will, fühle ich mich gerade sehr privilegiert und zufrieden. Denn ich bin in einem Land geboren und aufgewachsen, in dem ich weder Krieg noch Verfolgung, weder Hunger noch Gewalt erleben musste. Darauf bin ich nicht stolz, denn ich kann nichts dafür, aber dafür bin ich dankbar.“
Es ist fast genau ein Jahr her, dass ich einen Blogbeitrag mit diesen Worten begonnen habe. Und sie passen auch nach einem Jahr noch, wenn ich wieder etwas schreibe über Geflüchtete, die unter ganz besonders üblen Umständen leben und auf Hilfe angewiesen sind, um überleben zu können. Und damals wie heute darf ich mal wieder Danke sagen für die großzügige Spendenbereitschaft, die ich erfahren habe. War Anfang 2019 ein ganzes Team überwiegend aus Frauen vom Internationalen Frauencafé sehr erfolgreich und hatte nach wenigen Wochen engagierten Einsatzes über 2 000 Euro an eine Hilfsorganisation überwiesen, so kamen kürzlich ohne große Vorbereitung an einem einzigen Nachmittag beim Internationalen Frauencafé stolze 140 Euro zusammen. Dafür, ebenso wie für die Medikamente und Sachspenden aus dem Städtchen ein ganz herzliches Dankeschön!!! Diese Spenden gingen an eine ganz andere, sehr viel kleinere Organisation, und ich hatte einen ganz persönlichen Grund sie unterstützen zu wollen: mein Sohn gehörte zu dem Team, das zum Jahresanfang einen Hilfstransport von „Grenzenlos – People in Motion“ nach Bosnien organisiert hatte.
Was er mir vorher und nach seiner Rückkehr erzählt hatte, aber auch das, was ich in dem Blog gelesen habe, den ich euch sehr empfehlen möchte, hat mir wieder mal gezeigt, welche menschliche Eiseskälte sich hinter der Fassade einer angeblich auf christlicher Grundlage sozial handelnden Gesellschaft in Europa verbergen kann.
Ich stehe sehr hilflos vor der Frage, wie man es denn abstellen kann, dass reiche europäische Länder ziemlich tatenlos zusehen, wenn für tausende Menschen auf der Flucht in kleinen, ärmeren Ländern erst einmal Endstation ist. Wenn es da zu Gewalt und Menschenrechtsverletzungen an den Grenzen kommt, bleibt das ohne wenn und aber unverzeihlich, egal ob die jeweiligen Behörden hoffnungslos überfordert sind. Gar nicht egal ist es, wenn politisch Verantwortliche in anderen Ländern das zulassen. Schlimmer noch, sie überlassen Ländern wie Griechenland, Italien, Bosnien und Kroatien die Drecksarbeit (sorry aber ein anderer Ausdruck fällt mir bei gewaltsamen, völkerrechtswidrigen push backs nicht ein) für ihr nationales Ziel, Flüchtlingen die Einreise unmöglich zu machen. Und richtig übel finde ich es, dass wir alle mit unseren Steuergeldern ungefragt dafür bezahlen, wenn schwarz gekleidete, vermummte Schlägertrupps, unter denen laut Augenzeugen einige deutsch sprechen, die Flüchtenden zurück über die Grenzen prügeln und ihnen vorher noch Geld, Handys und selbst bei Minusgraden Kleidung wegnehmen, also sie schlicht beklauen.
Nein, es hat sich nichts Grundlegendes geändert im Laufe des vergangenen Jahres. Es gibt weiterhin Gesetzesverschärfungen zum Zweck der Abschreckung statt umfassender Bekämpfung von Fluchtursachen. Die Kriege gehen weiter, allein in der syrischen Region um Idlib sind zur Zeit mehr als eine halbe Million Menschen auf der Flucht vor Bomben aus dem In- und Ausland, vor Waffen die aus Deutschland und anderen europäischen Ländern gekauft wurden.
Menschen, die ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen, die seit Jahren unterwegs sind auf der Suche nach einem Leben ohne Verfolgung, Krieg und Bedrohung, wird nach wie vorgeworfen, sie wollten im reichen Europa nur auf der faulen Haut liegen und sich durchfüttern lassen. Es gibt immer noch Leute, die finden, Verhältnisse wie auf Lesbos oder in Bosnien würden nur deutlich machen, das es den „Asylfordernden“ noch viel zu gut gehe „hier bei uns“. Und es gibt immer noch viel zu viele Menschen, die dazu dann schweigen.
Nein, nicht das, was ihnen Rassisten, Nationalisten und notorische Geizkragen unterstellen, sind die Wünsche von Flüchtlingen. Sondern sie wünschen sich nur das, was ein junger Marokkaner der Autorin des Grenzenlos-Blogs geschildert hat:
„Dass wir nicht geschlagen werden. Vor Allem dass wir nicht geschlagen werden!! Dass uns nicht unser Geld weggenommen wird und nicht unsere Kleidung. Besonders nicht in dieser Kälte mit minus 10 Grad. Das ist sehr schwer. Das ist Leiden! Wir sind nur auf der Durchreise. Wir wollen keine Probleme. Wir sind aus unserem Land gegangen, weil wir dort Probleme haben. Dort gibt es religiöse Probleme und familiäre Probleme. Viele Sachen. Wir wollen keine Probleme. Wir haben nicht vor zu klauen. Nichts. Wir sind auch keine Terroristen, wie gesagt wird. Wir suchen nur Frieden.“
fl
