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Portion Senf dazu?

Die Bücherei St. Lamberti bloggt

Monat

März 2021

Kraken-Wahl

Erinnert ihr euch noch an die Krake Paul, die berühmt wurde, weil sie die Ergebnisse von Fußball-Länderspielen „voraussagen“ konnte (mich hat jüngst eine Twitter-Perle auf ihn gebracht)? Pauls Glaskugel waren zwei eckige Behälter, in denen jeweils eine Miesmuschel darauf wartete, von ihm verspeist zu werden. Ja, der Berliner Reichstag mit seiner Kuppel erinnert auch an eine Glaskugel, und das, was uns da als Corona-Politik verkauft wird, gefährlich an Spökenkiekerei.

Vor einem knappen Jahr gehörte ich noch zu denen, die die Ergebnisse von Corona-Sitzungen unter Leitung der Kanzlerin für nachvollziehbar und (meistens) richtig befunden habe. Inzwischen bleibt nicht viel mehr übrig als Respekt vor Merkel, dass sie die Landesmütter und Väter noch nicht in ein Aquarium gesperrt hat, damit sie auf der Suche nach Futter (=Wähler/innenstimmen) sich ganz zufällig an Acrylschachteln klammern.

Dabei bräuchte es gar keine Kraken und auch keine Politiker/innen-Runden, denn wir haben sehr kompetente Fachleute in diesem Land, deren düsteren, fachlich basierten Voraussagen zur Entwicklung der Pandemie hundertprozentig eingetroffen sind. Eine deutliche Mehrheit der Bürger/innen hatte sich bereits zu Weihnachten für deren Forderung ausgesprochen, die Anti-Corona-Maßnahmen deutlich zu verschärfen, endlich mal etwas anzuordnen, was den Namen Lockdown auch wirklich verdient.

Stattdessen gab es angeblich maßvolle Öffnungen, indem z. B. Kinder in die Schulen geschickt wurden, obwohl die versprochenen und notwendigen Schnelltests noch gar nicht zur Verfügung stehen. Es gab auch Überlegungen, nach Tübinger Vorbild Gastronomie, Handel und Kulturbetrieben abhängig von Testergebnissen zugänglich zu machen. Wenn da der Mann, der sich gerne in der Rolle des Landesvaters und künftigen Kanzlers sieht, im Landtag fragt „Warum sollten wir das nicht mal probieren?“ kriegt meine Geduld eine ganz, ganz kurze Lunte. Wie wäre es denn mal mit einem gut ausgearbeiteten, von Expert/innen abgesegneten Konzept? Oder sollen wir statt des in Todesanzeigen üblichen „Nach langer schwerer Krankheit…“ künftig tausende Male lesen müssen „Nach fehlgeschlagenem politischem Ausprobieren…“?

Die Pandemie und deren Opfer lassen kein „Trial and Error“ zu, und da nötigt es mir einigen Respekt zu, wenn die Kanzlerin einen Fehler ohne Beschönigung zugibt und die volle Verantwortung übernimmt. Wenn alle Politiker/innen diesem Beispiel mal folgen würden und zugäben, wo sie Mist gebaut oder lieber für das eigene Wohl, als für das Wohl des Volkes agiert haben, gäbe es wahrscheinlich tagelange Sondersitzungen von Bundestag und Kabinett.

Ja, mein Vertrauen in Politik und Regierung schwindet  immer mehr, wenn ich sehe, wie Corona-Schutzverordnungen zum Teil so zusammengestümpert werden, dass sie wenige Stunden nach der Veröffentlichung überarbeitet werden müssen. Es ist nicht lustig, wenn Leiter/innen öffentlicher Einrichtungen und Gewerbetreibende mit ihren Mitarbeiter/innen auf neue Anordnungen wie das Kaninchen auf die Schlange starren und immer wieder bitter enttäuscht werden, weil sich die Zuständigen keinen Deut um ihre gut ausgearbeiteten und oft teuren Schutzkonzepte scheren, sondern potentielle Kundschaft lieber zum Ballermann jetten lässt.

Aktuell kommen leise Töne aus der Politik, endlich mal das zu tun, was Expert/innen und Bürger/innen, die den monatelangen Eiertanz gründlich satt haben, immer wieder fordern. Zwei Wochen lang alles, was nicht lebensnotwendig ist, dicht machen, auch Büros und Firmen, ist m. E. längst überfällig. Auch den Verkauf auf Lebensmittel und wenige Drogerie-Artikel beschränken und kein Gedränge vor Wühltischen mit „Aktionsware“ zweimal die Woche. Außerdem abendliche und nächtliche Ausgangssperren, Aussetzen von Covidioten-Demonstrationen und Verhinderung von Einkaufstourismus in weniger betroffene Regionen. Gleichzeitig Impfen mit Hochdruck, und zwar in Hausarztpraxen und nicht mit hohem bürokratischen Aufwand in abgelegenen Impfzentren.

Ob das umgesetzt wird, und die Lage sich in den kommenden Monaten bis zu den Bundestagswahlen entspannt? Falls nicht, könnte man getrost so manchen gut gepolsterten Sessel in Berlin  gegen ein Kraken-Aquarium austauschen, ohne das jemand das merkt.

fl

Wenn es nicht mehr summt

„Die Geschichte der Bienen“ der Norwegerin Maja Lunde in der Übersetzung von Ursel Alleinstein war 2017 in Deutschland das meistverkaufte Buch und ist bis vor Kurzem über den Titel hinaus an mir vorbeigegangen. Als passionierte Krimileserin mit wenig Hang zu Düsternis und Brutalität gucke ich eher selten in die skandinavische Ecke, habe mir aber festgenommen, meine Vorurteile nicht länger auf andere Kategorien in den Bücherei-Regalen auszuweiten. Besten Dank an die Kolleg/innen, die mich meine Auswahlkriterien haben überdenken lassen, weil sie dieses tolle Buch als für mich geeigneten Lesestoff ganz richtig eingeschätzt haben.

Das Thema an sich, ist mir natürlich nicht neu und beschäftigt viele Menschen, auch schon lange vor Erscheinen von Lundes Buch. Es ist nicht sicher, ob das folgende Zitat tatsächlich von dem vor über 60 Jahren verstorbenen Albert Einstein stammt, es wird aber von Jahr zu Jahr aktueller und dringlicher:

„Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben; keine Bienen mehr, keine Pflanzen, keine Tiere, keine Menschen mehr.“

Einen Ausblick darauf, wenn das Ende dieser vier Jahre sich nähert, liefert in der „Geschichte der Bienen“ Tao, Mutter eines kleinen Sohnes und ebenso wie ihr Mann und viele andere Chines/innen zwangsverpflichtet zur manuellen Blütenbestäubung in einer Obstplantage im Jahr 2098. Auf den ersten Blick hat Tao nichts gemeinsam mit den anderen beiden Haupt-Protagonisten des Buches, dem vom Forscherglück verlassenen Biologen William im England des Jahres 1852 und dem Berufsimker George, der 2007 auf einer Farm im US-Staat Ohio lebt.

Die Geschichten der Drei werden in mehreren, sich abwechselnden Episoden erzählt, wobei der Wechsel von einem Erzählstrang zum anderen zwar abrupt, aber nicht störend ist. Das liegt nach meinem Empfinden daran, dass alle Geschichten gleich interessant, zum Teil spannend sind und die Empfindungen und Gemütslagen der Beteiligten sehr ein- und nachfühlsam beschrieben sind.

Wenn William monatelang Beruf (für den Lebensunterhalt seiner großen Familie arbeitet er als Samenhändler) und sich selbst völlig vernachlässigt, weil er es nicht mehr schafft aus dem Bett zu kommen, fällt nicht einmal das Wort „Depression“. Bis die als Krankheit (an)erkannt war, auch als eine, von der Männer betroffen sein können, gingen noch viele, viele Jahre ins Land. Deutlich erkennbar ist sie aber für die Leser/innen, ebenso wie eine therapeutische Wirkung der Beschäftigung mit Bienenvölkern. Die Zerrissenheit von George zwischen der Liebe zu Frau und Sohn, dem Wunsch, die berufliche Familientradition weiter zu führen und weiter zu geben und den zunehmenden existentiellen Problemen bis hin zum drohenden Ruin ist leider nicht nur Fiktion. Sie ist ebenso nachfühlbar dargestellt, wie das stille Aufbegehren Taos gegen ihr fremdbestimmtes Leben in Armut und ihre Hoffnung auf bessere Lebensumstände für ihren Sohn, der plötzlich unter mysteriösen Umständen seinen Eltern entrissen wird.

Jedes Schicksal der drei unter völlig unterschiedlichen Bedingungen lebenden Personen, wäre fast schon einen eigenen Roman wert. Zusammengefasst und gegenübergestellt in ihrem Buch hat Maja Lunde aber die große Chance geschaffen und genutzt, verständlich und nachvollziehbar zu machen, wie wichtig ein gerade mal knapp eineinhalb Zentimeter kleines Tierchen ist, damit das Zusammenspiel in der Natur als gesunde Lebensgrundlage für Pflanzen, Tiere und Menschen auch weiterhin funktioniert.

Es liegt an uns allen dafür zu sorgen, dass in der Geschichte der Bienen nicht bald das letzte Kapitel geschrieben werden muss.

fl

Katzenstreu am Fenster

oder: Nummer Drei als letzte von Vieren

Vorab, es liegt nicht an der Auswahl der Kolleg/innen, dass ich über „Das Gewicht von Schnee“ in meinem Überraschungspaket nichts schreiben werde. Ich habe es nicht mal aufgeschlagen und plane auch erstmal nicht das nachzuholen, wenn die Schneeschäden aus dem Februar in meinem Wohnzimmer vollständig behoben sein werden.

Eigentlich war es ja ganz pfiffig, dass ausgerechnet dieses Buch vor ein paar Wochen seinen Weg in das Paket fand, als der Wetterbericht für die kommenden Tage ungewohnte Schneemengen für das Münsterland androhte. Niemand konnte ahnen, dass kurz drauf allein schon das Wort „Schnee“ bei mir für eine Laune weit unterhalb der Kellerkante sorgte, nachdem zwei Tage lang mehrere Liter Tauwasser stetig und gut hörbar in mein Wohnzimmer tropften.

Treue Leser/innen wissen, dass ich im Dachgeschoss wohne, ich jammere schließlich jeden Sommer, wenn bei 30 und mehr Grad die Innen- sich unaufhaltsam den Außentemperaturen nähern. Was wiederum ich (meine Vermieter wohl auch) bisher nicht wusste: Wenn feiner, leichter Schnee bei starkem Ostwind den Weg durch die Dachpfannen findet, um es sich auf der Isolierung gemütlich zu machen, muss das Tauwasser nicht zwangsläufig in der Dachrinne landen. Es kann sich seinen Weg auch über die Dachfenster-Verkleidung in ein gutes Dutzend Eimer und Schüsseln suchen. Frühlings-Deko im Wohnzimmer der besonderen Art…

Glücklicherweise fand wenige Tage drauf das für Februar ungewohnt laue Lüftchen seinen Weg zwischen den Dachpfannen zügig zur Isolierung, so dass die relativ schnell trocknete. Unterstützt von Innen durch schnell genähte, mit Katzenstreu gefüllte Säckchen, die ganz sicher auch nicht als Frühlings-Deko durchgingen. Der Trockenbauer war in der vergangenen Woche erfolgreich im Einsatz, der Anstreicher hat sich für die kommende Woche angesagt. In der Zwischenzeit verteilt sich der Inhalt von drei Regalen, die zur Seite geräumt werden mussten, im Wohnzimmer. Noch ein Spruch über Frühjahrs-Deko wäre jetzt albern.

Da ist es doch gut, dass mich Überraschungspaket-Buch Nummer Drei so gefesselt hat, dass mich das Drumherum nicht mehr störte. Warum ich hoffe, dass noch viele Menschen dieses Lese-Erlebnis mit mir teilen werden, schreibe ich in den nächsten Tagen. Gleiche Stelle, gleiche Welle.

fl

Paketlektüre Nummer Zwei

Nach dem kleinen unterhaltsamen Büchlein von Renate Bergmann, das sich in die gelungenen und witzigen Erzählungen von Torsten Rohde nahtlos einreiht (womit das Wichtigste darüber gesagt ist), war meine zweite Lektüre aus dem Überraschungs-Paket für Corona-Zeiten „Brandsätze“ von Stephen Cha, übersetzt von Karen Witthuhn. Mit seiner Einschätzung „Ich dachte, das wäre was für dich“ hat der beste Büchereileiter des Städtchen Recht behalten.

So sehr, dass ich dieses Buch uneingeschränkt weiterempfehlen kann an alle, die sich für aktuelle Fragen aus Politik und Gesellschaft interessieren und gerne gute und gut geschriebene Romane lesen. Ob Letzteres der Autorin, der Übersetzerin oder dem Zusammenspieler Beider zuzuschreiben ist, weiß ich nicht. Hauptsache gut.

Auch wenn die Handlung des Buches ganz aktuell im Jahr 2019 stattfindet, ist sie angelehnt an das Geschehen aus dem Jahre 1991 in Los Angeles, das neben anderen ein paar Monate später zu Unruhen mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Los Angeles führte, die über 50 Menschen das Leben kosteten, tausende Verletzte forderte und Sachschäden in Milliardenhöhe verursachte.

Damals wurde eine 15jährige Afroamerikanerin von einer koreanischen Ladeninhaberin, die sie fälschlich des Ladendiebstahls verdächtigte, durch einen Schuss in den Hinterkopf getötet. Die Täterin kam mit einer Bewährungsstrafe davon und wird im Buch Jahre später mit neuer Identität auf einem Parkplatz angeschossen.

Um für künftige Leser/innen den Spannungsbogen nicht zu (zer)stören, möchte ich den fiktiven Handlungsfaden des Buches hier nicht näher beschreiben, kann aber versichern, dass er abwechslungsreich, fesselnd und sehr realistisch ist. Oft so realistisch, dass es für mich, die die Lebensumstände farbiger US-Bürger/innen im Alltag nur aus dritter Hand kennt, manchmal fast klischeehaft anmutet. Was letztlich zu der Erkenntnis führt: es ist Vieles dort noch schlimmer, als ich mir bisher, diesbezüglich wenig optimistisch, vorgestellt habe.

So ereifert sich der Cousin der damals 15jährigen Getöteten gegenüber seinem Neffen im nahezu gleichen Alter: „Ich bin von gar nichts überzeugt“, fauchte Shawn. „Was ich glaube, ist völlig egal. Was ich glaube, kann dich nicht vor dem Knast bewahren. … Kein einziger Richter würde auf mich hören. Wenn die denken, dass ein schwarzes Leben nichts wert ist, dann ist ein schwarzes Leben nichts wert.“

Die Verbindungen zwischen der schwarzen Familie des Opfers und der koreanischen Familie der Täterin, die Jahrzehnte später selber zum Opfer wird, sind oft unvermeidlich, meist unerwünscht, aber auch mal aktiv gesucht Sie zeichnen ein Bild von Problemen, Ängsten, Vorurteilen, aber auch Wünschen und Ansprüchen, die trotz gänzlich verschiedener Lebensweisen auch Gemeinsamkeiten haben.

Manche Entwicklungen sind absehbar, da nahezu unvermeidlich, andere völlig überraschend und erzeugen eine Spannung, die den Leseabend schon mal länger werden lässt, als eigentlich gedacht geplant.

Neben der Empfehlung an Bücherei-Nutzer/innnen, „Brandsätze“ auszuleihen/vorzubestellen, auch eine an die Bücherei-Mitarbeiter/innen: Packt das Buch öfter in ein Überraschungspaket.

fl

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