Und heute, ein paar Jahrzehnte später? Wenn Kolleg/innen und Freund/innen sich in den Urlaub verabschieden, äußere ich doch tatsächlich die schrecklich altmodische Bitte „Und vergiss nicht, mir eine Karte zu schreiben“. Ungläubige Blicke sind oft die harmloseste Reaktion. Die Steigerung ist ausgelacht zu werden, eine Stufe weiter werde ich als hoffnungslos altmodisch oder spießig bezeichnet, und den Höhepunkt bildet die Aussage „Du spinnst wohl“. Zu Letzterem äußere ich mich mal nicht, dazu bin ich zu befangen. Und ob mich jemand für altmodisch hält, ist mir ziemlich egal. Nur bei „spießig“ zucke ich ein bisschen zusammen.
Aber, wie auch immer: ich freue mich, wenn ich Postkarten bekomme. Und wenn sie von weit weg geschickt wurden und/oder ein besonders schönes Motiv haben, kommen sie auch dauerhaft an die (Pinn-)Wand. Manchmal ist es mir auch wirklich wichtig, eine Karte zu bekommen. Zum Beispiel, wenn das trampende „Kind“ aus Marokko schreibt und darauf hinweist, dass die vorgesehene Email an der arabischen Tastatur im Internet-Café scheiterte.
Ich mag es einfach, wenn jemand seine Urlaubseindrücke schildert, nachdem die fremde Umgebung ein wenig erkundet wurde und ein erster Überblick über die schönen und weniger schönen Plätze und Gegebenheiten vorhanden ist. Wenn jemand sich Gedanken macht, was er oder sie mir denn schreiben sollte. Und Karten, deren Ränder bis fast ins Adressfeld hinein bekritzelt sind, sind zwar oft schwierig zu lesen, meistens aber besonders interessant. Solche Urlaubsgrüße sind mir jedenfalls erheblich lieber, als mehrmals täglich Fotos aufs Handy geschickt zu bekommen mit Untertiteln wie „Nicht mal Bier könne sie hier anständig zapfen“ „Heute gab es zum Mittagessen…“und dem entsprechenden Motiv einer verschalten Plörre oder eine Paella, die auch nicht wirklich anders aussieht als die Bilder auf den Tiefkühlgerichten im heimischen Supermarkt.
Und mal ganz ehrlich: Wo ist bitte – die Technik natürlich Außen vor gelassen – der Unterschied zwischen einem halben Dutzend Handy-Fotos täglich und dem Dia-Abend bei den Nachbarn in den 60er und 70er Jahren? Ob jetzt zum Foto „Das ist Mutti beim Einchecken am Flughafen“ gesagt oder geschrieben wurde, ist ja nun kein besonderer Unterschied. Unterschiedlich ist da lediglich die Größe von Display und Leinwand. Und genauso, wie der quälend langweilige Dia-Abend schnell in Vergessenheit gerät, landen die Handyfotos irgendwo im Durcheinander der Speicherkarte oder werden gelöscht, um Kapazitäten für den nächsten Urlauber freizugeben. Die Postkarten hängen immer noch an meiner Wand und ich kann mich auch an einem trüben Novembertag noch darüber freuen.
Vielleich habe ich aber auch einfach nur einen Postkarten-Spleen…
fl
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