Die Begeisterung mancher Menschen für Fußball kann ich nicht teilen. Aber das macht nichts, ich erwarte ja auch nicht, dass alle Menschen sich für Stricken oder Nähen begeistern. Ich hab nichts gegen Fußball-Fans, solange sie nicht gewalttätig sind, oder sich mit Rechtsextremisten verbünden.

Ich gönne es ihnen vor allem, wenn sie jetzt während der Europameisterschaft  nicht mehr alleine oder im Kreis der bestenfalls ebenso begeisterten Familie vor dem heimischen Fernseher für Stimmung sorgen müssen, sondern zusammen mit Freund/innen, Bekannten, Nachbar/innen und anderen Gleichgesinnten auf der Terrasse wieder ein Stück Fußball-Fan-Alltag erleben können. Warum schon nach einem gewonnnen Vorrundenspiel lautes Hupen ziellos herumfahrender Autos zu hören ist, erschließt sich mir nicht und lässt mich (etwas ängstlich) fragen, welche Steigerungsmöglichkeiten umgesetzt werden, falls die deutsche Mannschaft das Endspiel erreichen sollte.

Im Allgemeinen ist mir Fußball herzlich egal. Politik eher nicht, und deshalb gefällt mir die regenbogenfarbene Armbinde von Manuel Neuer ausnehmend gut, optisch wie inhaltlich-symbolisch. Was ich darüber denke, dass im Vorfeld der Bundestagswahlen Mitglieder einer in Teilen rechtsextremistischen Partei die Maske der grundgesetztreuen Demokraten fallen lassen und die Fratze der (nicht nur) homophoben Hetzer gegen Minderheiten zeigen, muss ich wohl nicht erläutern.

Dagegen ist es geradezu wohltuend, dass die Hauptstadt eines nicht unbedingt für besonders progressive Gesellschaftspolitik bekannten Bundeslandes ihr Stadion in Regenbogenfarben beleuchten wollte, wenn die Mannschaft eines Landes dort spielt, dessen Regierung geradezu berüchtigt ist für ihre Diskriminierung von LBGTQ-Personen. Dass dieses wichtige Zeichen für Toleranz und Gleichstellung nicht zu sehen sein wird, macht mich richtig sauer und das gleich aus mehreren Gründen. Es geht, wie so oft im Fußball in den höheren Rängen um Geld und Profilierung und nicht um Solidarität und Mitmenschlichkeit, ja nicht mal um die Gesundheit sehr vieler Menschen beim Austragungsort für das EM-Endspiel.

Wegen der Ausbreitung der Delta-Variante des Corona-Virus und der damit verbundenen einschränkenden Maßnahmen befürchtet die UEFA, dass die Eitelkeit ihrer Sponsoren nicht ausreichend bedient werden kann, wenn nicht genügend Plätze in den VIP-Logen zur Verfügung stehen. Das sagt meiner Meinung nach nicht nur eine Menge darüber aus, wie der Verband die Motivation derjenigen einschätzt, die den medienwirksamen Fußball-Zirkus finanziell unterstützen, sondern auch darüber, wie sehr er fürchtet, sein Vermögen von rund 3,8 Milliarden nicht ungestört vergrößern zu können.

Die Bilder in der vergangenen Woche aus Budapest mit abertausenden Fans ohne Masken und Abstand im Stadion haben dann wohl bei der UEFA Begehrlichkeiten geweckt, ein Endspiel mit über 60 000 Zuschauer/innen dort möglich werden zu lassen. Da passen natürlich Regenbogenfarben und ungarische Nationalmannschaft drei Wochen vorher nicht gut zusammen, weshalb die UEFA sich laut aktuellen Medienberichten auf irgendwelche Formalien beruft, um als Veranstalter die bunte Beleuchtung des Münchner Olympistadions morgen zu untersagen. Wir werden nie erfahren, wie oft bei der Entscheidungsfindung die Worte „Corona“, „Mutante“, „Covid 19“, „Delta—Variante“ oder wenigstens „Infektionsschutz“ und „Gesundheit“ gefallen sind. Sie haben jedenfalls wohl keine bedeutende Rolle gespielt. Das Stadion, in dem die ungarische Nationalmannschaft spielt, wird sein wird wie immer, nämlich hell. Und der mächtige und einflussreiche Verband hat sich schwer blamiert, weil er gezeigt hat, was von seinen Lippenbekenntnissen für Toleranz und gegen Diskriminierung zu halten ist.

Eines ist jedenfalls ist für mich mich deutlich: Dem Fußball fehlen echte Helden. Nämlich die schwulen Spieler (und Funktionäre), die sich trauen (können), sich im Jahr 21. Jahrhundert zu ihrer sexuellen Identität zu bekennen. Jeden einzelnen, der dazu mutig genug ist, und alle, die sie unterstützen und vor ebenso dummen wie überflüssigen Angriffen schützen, werde ich feiern. Mit großer Begeisterung und mehr als alle Torschützen irgendwelcher Meisterschaften zusammen.

fl