Es gibt Leute, bei denen frage ich mich immer wieder, wie die morgens in den Spiegel gucken können, ohne umgehend ihr Frühstück der Badkeramik im Wortsinn zu übergeben. Dazu gehören diejenigen, die von ganz Rechtsaußen die „politische Mitte“ reklamieren. Dazu gehören auch diejenigen, die bei unverschämt hohen Gewinnen jede Möglichkeit der beschönigend genannten „Steuervermeidung“ ausnutzen und in Krisenzeiten Kohle von genau dem Staat kriegen wollen, den sie um notwendige Einnahmen betuppt haben. Nicht zu vergessen diejenigen, wie ein Self-made-Koch und Möchtegern-Prominenter oder ein mehrfach wegen Drogenbesitzes vorbestrafter, rassistischer und antisemitischer Barde, die ihre eigenen Wahnvorstellungen mit ganz viel Aggressivität als Wahrheit und Mut zum Widerstand verkaufen wollen.

Aber ganz weit oben auf meiner (nationalen) Liste steht ein Mann zusammen mit seiner Belegschaft, dem Berufskollegen vorwerfen, er halte „den leisesten Zweifel an der eigenen Sichtweise schon für Verrat“ und arbeite mit „der Methode eines Revolver-Journalismus“, und dem ein ehemaliger Bundesrichter „kenntnisfreie Panikmache und rechtspolitische Scharfmacherei auf sehr niedrigem Niveau“ bescheinigte. (Zitate aus Wikipedia)

Foto: bildblog.de

Die Hetze der Springerpresse gegen die Studenten der 68er Bewegung, die von „langbehaarten Affen“ schrieb und Dutschke als „Politgammler“ bezeichnete, ist unvergessen, und Günter Wallraffs „Aufmacher“-Buch über seine undercover Tätigkeit als Bild-Redakteur barg für viele Leser/innen wenig Überraschung, aber umso mehr Bestätigung. Und so empfand ich es als heuchlerische Geschmacklosigkeit, als Bild sich im Jahr 2013 zur neuen APO ausrief.

Aber Bild wäre nicht Bild, wenn sie nicht auch weiterhin bei der Wahl ihrer Chefredakteure und deren Kampagnen unbeirrt nach dem Motto handeln würde „schlimmer geht immer“, wie die aktuelle Stimmungsmache gegen einen ausgewiesenen Fachmann auf dem derzeit überaus wichtigen Gebiet der Virologie zeigt. Ein Job in der Bild-Redaktion scheint vorauszusetzen, dass die Mitarbeiter/innen all das in Sekundenschnelle vergessen, was sie in ihrer Ausbildung –  so die nicht bei Springer und anderen Verlagen stattgefunden hat, die ebenfalls gute Aussichten aufs Siegertreppchen beim Niveau-Limbo haben – über Wahrhaftigkeit, Seriosität und Faktentreue gelernt haben. Mir ist und bleibt es immer ein Buch mit sieben Siegeln, warum Redakteur/innen und freie Mitarbeiter/innen jede hoffentlich früher mal vorhandene Anwandlung von Berufsethos über Bord werfen und sich in den Dienst eines, mit Verlaub, Schmierenjournalismus stellen.

Dass die, wie ich finde, angemessene Reaktion von Professor Drosten auf die Anfrage, mit der gleichzeitig (Zeit-)Druck aufgebaut werden sollte, „Ich habe Besseres zu tun“ den Bild-Chefredakteur schäumen ließ, war ja zu erwarten. Zudem ist ja nicht auszuschließen, dass er seinem Vorgänger auf dem Chefsessel hilfreich zur Seite springen wollte, dessen Media-Agentur derzeit mit Professor Streek einen anderen Virologen und dessen Arbeiten vermarkten möchte.

Natürlich war es ein gefundenes Fressen für Bild, dass Drosten anfangs dämlicherweise die komplette Anfrage des Bildredakteurs inklusive Kontaktdaten veröffentlichte. Das Gezeter war erwartungsgemäß groß, hielt aber die Bild nach dem Mimimi in eigener Sache nicht davon ab, wenige Tage darauf unverpixelte Bilder und Videos vom Todeskampf des durch Polizeigewalt ums Leben gekommenen Afroamerikaners George Floyd zu veröffentlichen. Die unterschiedliche Gewichtung des Respekts vor der Privatsphäre eines weißen Bild-Mitarbeiters und der Würde eines farbigen Ex-Basketballers ist eines der zahllosen Beispiele, weshalb ich der Feststellung Max Goldts aus dem Jahr 2001 über die Bildzeitung nur uneingeschränkt zustimmen kann:

„Diese Zeitung ist ein Organ der Niedertracht. Es ist falsch, sie zu lesen. Jemand, der zu dieser Zeitung beiträgt, ist gesellschaftlich absolut inakzeptabel. Es wäre verfehlt, zu einem Redakteur dieses Blattes freundlich oder auch nur höflich zu sein. Man muß so unfreundlich zu ihnen sein, wie es das Gesetz grade noch zuläßt. Es sind schlechte Menschen, die Falsches tun.“

fl