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Portion Senf dazu?

Die Bücherei St. Lamberti bloggt

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Integration

Mit Nähmaschine und Mixer

Nein, ich kann keine Kaninchen aus irgendwelchen Zylindern zum Vorschein bringen, Blumensträuße aus dem Nichts auftauchen oder Geldscheine im Nirwana verschwinden lassen. Aber der Trick, aus einem langen Garnstrang in Sekundenschnelle eine gleichmäßig gedrehte Kordel zu produzieren und dabei nur einen einzigen Finger zu bewegen, sorgt immer wieder für Verblüffung. Ich wende ihn seit fast 30 Jahren an, seitdem ich ihn im Kindergarten meines Ältesten erstmals bewundern konnte, inzwischen soll er auch in Internet-Videos als brandneu angepriesen worden sein, habe ich mir sagen lassen.

Die insgesamt 15 Kindern, die sich an drei Nachmittagen in Fünfer-Gruppen am Ferienangebot zum Umgang mit der Nähmaschine beteiligten, staunten jedenfalls nicht schlecht, als ich den elektrischen Handmixer einstöpselte. Irgendwie müssen ihre neuen, selbstgemachten Rucksäcke ja auch auf dem Rücken getragen werden, am besten mit Kordeln. Also ein gaaaanz langes Stück Garn oder Wolle, je nach Dicke doppelt, vier oder sogar sechsfach gelegt und am Ende verknotet, wird an der einen Seite über eine Türklinke geschoben und an der anderen Seite über den Knethaken des Handmixers. Da der Handmixer beziehungsweise die Person, die ihn festhält, deutlich mobiler ist als eine Türklinke, ist jetzt der richtige Standort zu suchen, der nah genug an der Steckdose und weit genug entfernt von der Türklinke ist, dass die Strippe zwischen Klinke und Haken locker gespannt ist und auf gar keinen Fall durchhängt. Und dann kommt die erwähnte Fingerbewegung mit der der Quirl auf Höchststufe gestellt wird. Sobald man einen Zug auf der Kordel spürt, ist sie fertig.

Je nach Länge ist der Einsatz einer zweiten Person hilfreich, die die Kordel in der Mitte festhält, wenn man die Garnenden von der Türklinke und vom Mixer zusammenführt und verknotet. Sehr lange Kordeln müssen jetzt noch ein bisschen glattgestrichen werden, damit sie überall gleichmäßig verdreht sind. Kein Hexenwerk, aber ein Trick, der viele neue Fans und Nachahmerinnen gefunden hat und sicher demnächst von unserer Freundin Mina (Foto) auch in Teheran angewandt wird.

Über das oben genannte Ferienangebot hinaus werden an derselben Stelle bestimmt noch ganz oft Kordeln mit dem Handmixer „gezaubert“, denn die Kinder, die als Anfänger/innen innerhalb von knapp drei Stunden wunderschöne Rucksäcke angefertigt hatten, haben damit die Generalprobe für das inzwischen bestens ausgestattete interkulturelle Nähcafé „ZickZack“ absolviert. Über zwei Monate später als geplant – Corona lässt grüßen – kann jetzt endlich in der kommenden Woche das wohl erste Integrationsprojekt im Städtchen, das von Geflüchteten, Zugezogenen und Einheimischen gemeinsam geplant, vorbereitet und organisiert ist, seinen Betrieb aufnehmen.

Jeden Donnerstag von 15 bis 18 Uhr sind alle Interessierte, egal welcher Herkunft und welchen Geschlechts, ins Zickzack eingeladen. Dort können sie nähen (lernen) und sich dabei, wenn nötig helfen lassen, dort können sie sich aber auch einfach bei einer Tasse Kaffee und Tee mit anderen Besucher/innen unterhalten. Die offizielle „ZickZack“-Sprache ist dann Deutsch, denn Nicht-Muttersprachler/innen sollen hier die Gelegenheit haben, ihre Sprachkenntnisse zu erweitern und zu festigen.

Ich bin jetzt nicht nur gespannt, ob und wie dieses Angebot im Städtchen ankommen wird, sondern auch, wie lange es dauern wird, bis ich gelernt habe, nicht nur gerne, sondern endlich mal richtig gut nähen zu können.

fl

Bis bald. Hoffentlich!

Als Farshid im Sommer vor vier Jahren in das Team der schönsten Bücherei im Ort kam, war er der erste einer ganzen Reihe Geflüchteter, die uns bei unserer Arbeit unterstützen, und gleichzeitig ihre Deutschkenntnisse verbessern wollten. Über ein Jahr lang hat er zweimal in der Woche dafür gesorgt, dass die Medien am richtigen Platz standen, hat weitere Kontakte gesucht und gefunden zum Beispiel im Kirchen- und Posaunenchor. Er wurde dabei von vielen Ochtruper/innen unterstützt, allen voran von seiner Chorfreundin Barbara, die nicht nur für ihn da war, wenn er Heimweh nach seiner Familie hatte, sondern auch bei Behördengängen, der Suche nach Sprachkursen und schließlich nach einem Arbeitsplatz tatkräftig und mit großem Engagement und Zeitaufwand für ihn da war.

Am letzten Wochenende hat er mit dem Christlichen Posaunenchor Ochtrup noch für die passende Stimmung beim Martinsspiel gesorgt, einen Tag später, war er ganz auf sich allein gestellt, im derzeit von einem Rekordhochwasser überschwemmten Venedig. Für ihn völlig überraschend war er mitten in der Nacht von der Polizei aus dem Bett geholt worden, durfte noch ein paar Sachen einpacken und wurde zum nächsten Flieger nach Venedig gebracht. Abschied nehmen von Freund/innen, Kolleg/innen und Nachbar/innen war nicht möglich, das Ausländeramt informierte am nächsten Tag seinen Arbeitgeber.

Venedig ist die Stadt, in der er nach seiner Flucht aus dem Iran, wo er wegen seines christlichen Glaubens von Verfolgung, Folter und Gefängnis bedroht war, einige Zeit auf der Straße leben musste, ausgeraubt und bei einem Messerangriff verletzt wurde, bevor er sich schwer krank auf den weiteren Weg nach Deutschland gemacht hatte. Er hatte also schwere Zeiten hinter sich, bevor er in Ochtrup Fuß fassen konnte. Inzwischen hat einen guten Job als Pflegehelfer, der ihm jetzt hoffentlich die Chance bieten kann, mit einem Arbeitsvisum wieder zurück zu kommen.

Und ja, seine Abschiebung ist rechtmäßig, denn seinem Asylantrag war damals in Italien stattgegeben, der spätere Antrag in Deutschland folgerichtig abgelehnt worden. Aber er hat in den letzten viereinhalb Jahren in Ochtrup eine neue Heimat gefunden, ist gut integriert, arbeitet in einem Bereich, in dem händeringend Leute gesucht werden und ist nicht (mehr) auf staatliche Finanzleistungen angewiesen. Die Frage ist also, warum er mitten in der Nacht abtransportiert werden musste und in eine von einer Naturkatastrophe heimgesuchte Stadt geschickt wurde, wo er keinerlei Unterstützung bekommt.

Es macht mich nachdenklich, dass ich in einem Staat lebe, auf den ich eigentlich große Stücke halte, weil ich Demokratie und Menschenrechte sehr schätze, der aber Menschen, die schon durch ihre Fluchterfahrung stark belastet sind, so unmenschlich, wie ich finde, behandelt.

Wie viele Politiker/innen haben seit 2015 immer wieder betont, dass die Integration Geflüchteter eine gesellschaftliche Anstrengung ist, an der sich alle beteiligen müssen? Farshid ist für mich eines der vielen guten Beispiele dafür, wie gut Integration im Zusammenspiel von seinem persönlichen Einsatz und der breiten Unterstützung zahlreicher Beteiligter gelingen kann. Warum wird das, wie bei so vielen anderen Betroffenen unter ähnlichen Umständen auch, bei Nacht und Nebel geradezu blitzartig kaputt gemacht?

Nichtsdestotrotz drücke ich (und ganz bestimmt nicht ich alleine) Farshid ganz fest die Daumen, dass er bald wieder nach Ochtrup zurückkehren kann.

fl

Werden wir doch Kartoffelhelden

Collage

Sein erstes Buch „Ich komm auf Deutschland zu“ hat mich schwer beeindruckt, wie ich damals hier beschrieben habe, seine Videos im youtube-Kanal „Zukar“ finde ich ebenso amüsant wie wichtig, und ihm persönlich zu begegnen, ihm zuzuhören und sich mit ihm zu unterhalten war schon ein Erlebnis. Als Firas Alshater vor gut vier Wochen zu Gast in der Bücherei war, hat er natürlich die Gelegenheit genutzt, ganz dezent – wie er nun mal ist 😉 – auf sein neues Buch „Versteh Einer die Deutschen“ hinzuweisen, das seit kurzem auf dem Markt ist.

1GeschmökertNatürlich habe ich es sofort gelesen, als es in den Büchereibestand aufgenommen wurde, und mein Fazit: Firas Alshater und seinem Freund Jan Heilig ist ein gutes, sehr empfehlenswertes Buch gelungen!

So, jezz wisster Bescheid, wie wir Westfalen sagen, könnt den PC runterfahren und euch das Buch ausleihen. Oder ihr könnt am Bildschirm noch ein bisschen lesen, warum ich dieses Buch gerne vielen Verwaltungs-Menschen, Politiker/innen, Menschen, die sich für Geflüchtete engagieren und/oder mit ihnen befreundet sind, und Meckerköppen (an dieser Stelle fällt mir keine neutrale Bezeichnung ein), die Vorurteile gegen Ausländer und Geflüchtete haben und glauben, wenn sie Ängste schüren, könnten sie Probleme lösen.

Mutter MigrationIch gebe ja gerne zu, dass mir Menschen sympathisch sind, die den Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, den ich gerne mit dem irgendwo geklauten Namenszusatz Horst „Im Janker für Anker“ Seehofer nenne, kritisch betrachten und seine Wahlkampf-Rhetorik nicht in Einklang bringen können mit seinen ministeriellen Aufgaben wie Integration und Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Und wenn sie das auch noch gut begründen können und vor allem Vorschläge haben, wie diese ministeriellen Aufgaben deutlich besser und Erfolg versprechender ausgeführt werden können, dann kommt zu der Sympathie auch noch Wertschätzung.

Denn das ist es, was sich durch das gesamt Buch Alshaters zieht: Ein wacher Blick auf die Gegebenheiten in Kombination mit einer Einschätzung, die mal sachlich, mal gefühlsmäßig erfolgt, aber immer zutreffend ist und zu sehr überlegenswerten Vorschlägen führt. Dass er als Syrer dabei oft die Verhältnisse in seiner alten mit denen seiner neuen Heimat vergleicht, bringt mir als Leserin, wie schon im ersten Buch, nochmal einen tieferen Einblick in das frühere Leben von Syrer/innen, noch mehr Verständnis für ihre Erleichterung, in Frieden und Freiheit leben zu können, und Mitgefühl für ihr Heimweh.

Interessant ist dabei, welche Themen den Autor mit der Perspektive des Zugezogenen in eine bis dahin sehr unbekannte Kultur zum Teil bewegen, und beeindruckend mit welcher Toleranz er Dingen begegnet, die ihm bis dahin aufgrund von Erziehung und Sozialisation fremd waren. In anderen Bereichen ist es allerdings mit Toleranz nicht weit her, sondern es hagelt durchaus Kritik. Berechtigte Kritik, weil es z. B. um Benachteiligung von Alleinerziehende, die Zuverlässigkeit gewisser öffentlicher Transportunternehmen, oder immer wieder um die deutsche Bürokratie geht. Wer sich allerdings von dem Buch, in dem viele deutsche Gegebenheiten und Probleme erläutert werden, das Kapitel „Firas erklärt die deutsche Bürokrakratie, weil er sie endlich verstanden hat“ erhofft, der hat im Bücheregal daneben gegriffen. Daran scheitert er genauso, wie vor zwei Jahren, und daran wird er wohl auch noch in 20 Jahren scheitern und dieses Schicksal mit Abermillionen Deutschen teilen. Mit einem Unterschied: Er nimmt es (überwiegend) mit Humor.

Wer von und über ihn gelesen hat, wer seine Filme gesehen und/oder ihn persönlich kennengelernt hat, der weiß, einen Firas ohne Humor und Lebensfreude gibt es nicht – zumindest nicht öffentlich. Und bei allen nachdenklich machenden Passagen und erschütternden Erlebnissen, ist es auch ein kurzweiliger Spaß zu lesen, wie Firas sich selbst, sein Leben, seine Erfahrungen und sein Umfeld durch den sprichwörtlichen Kakao zieht. Mit Kaffee wäre das nicht möglich, denn der schmeckt ihm hier meistens wie „Sockensaft – frisch gepresst“.

Dass das Leben viel einfacher ist, wenn man nicht alles (und sich selber) zu ernst nimmt, zeigt zum Beispiel seine Einschätzung von gewissen politischen (Anmerkung von mir: meist strunzdummen) Äußerungen, die er dem „Kleine-Kläffer-Syndrom“ zuordnet. Ich muss mal überlegen, ob es „typisch Deutsch“ ist, dass ich da deutlich weniger Gelassenheit mitbringe. Das „Kleine-Kläffer-Syndrom“ ist übrigens auf keinen Fall in Zusammenhang damit zu bringen, dass Firas seit geraumer Zeit sein Leben mit einer winzig kleinen Hundeprinzessin teilt, die obwohl weder Vegetarierin noch Veganerin, auf den Namen „Zucchini“ hört, beziehungsweise hören sollte.

Titel VersteOb Firas sich als Hundeflüsterer bewähren könnte, kann ich ebenso wenig beurteilen, wie die Erfolgsaussichten eines Buches über Bartpflege, wenn er es wirklich mal schreiben sollte. Ich beurteile aber gerne „Versteh einer die Deutschen“, ebenso wie den Vorgänger „Ich komm auf Deutschland zu“ als gutes und wichtiges Buch. Es vermittelt den Leser/innen – egal welcher Herkunft – neue Perspektiven, beschert ihnen neue Erkenntnisse und motiviert sie hoffentlich, sich zusammen mit anderen dafür einzusetzen, was einem nach der Lektüre alles andere als utopisch vorkommt: Mehr Miteinander, weniger Vorurteile, mehr aufeinander zugehen statt übereinander zu schimpfen, mehr kennenlernen als abzulehnen. Warum wir dann, laut Firas, alle „Kartoffelhelden“ wären, lest ihr am besten selber.

fl

„Lies das mal.“ Ja bitte!

„Lies das mal, das könnte was für dich sein. Und sag mir anschließend mal, ob du es für authentisch hältst. Du bist da näher dran als ich“ Mit diesen Worten drückte der Chef meiner Lieblingsbücherei mir das Buch „Unter Fremden“ von Jutta Profijt in die Hand. Ja, der Mann kennt mich. Gut genug um zu wissen, dass Flüchtlinge, syrische Frauen und Krimi (!) eine Kombination sind, die mich packt. Und was ich davon halte? Soviel, dass ich es nicht nur dem Bücherei-Chef sagen will, sondern auch aufgeschrieben habe als eindeutige Empfehlung, dieses Buch unbedingt zu lesen.

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Wie beschreibe ich den Inhalt eines Kriminalromans, ohne zu viel zu verraten und Spannung zu zerstören? Am besten gar nicht, weshalb ich auch darauf verzichte und auf andere Aspekte eingehen möchte.

Zunächst einmal darauf, dass ich es großartig finde, wie die in der niederrheinischen Provinz lebende Jutta Profijt sich in die Denkweise und Gefühlswelt einer Analphabetin aus einem syrischen Dorf einfühlt. Vieles, was ich aus zahlreichen, intensiven Gesprächen mit Syrerinnen als Fakten mitgenommen habe, wird von der Hauptperson des Romans erlebt und erfahren, ohne dass die Autorin irgendeine Wertung vornimmt. Und so schüttelt der/die Leser/in beispielsweise nicht verwundert den Kopf, sondern fühlt einfach nur mit, wenn die gehbehinderte Madiha völlig erschöpft eine längere Busfahrt stehend hinter sich bringt, weil freie Sitzplätze nur direkt neben männlichen Fahrgästen verfügbar sind.

Die Schilderungen vom Alltag in einer Massenunterkunft würde ich gerne all denen zu lesen geben, die diese Unterbringung für akzeptabel halten. Und noch lieber denjenigen, die solche Dummheiten raushauen wie „Da ist doch alles viel besser, als sie es von Zuhause gewohnt sind.“ Auch wenn die Protagonistin erst lernen muss, ein Smartphone zu bedienen, bedeutet das sicher nicht, dass syrische Frauen mit den Segnungen der technischen Neuzeit nicht vertraut sind. Ja, es gibt (nicht nur) im arabischen Raum deutliche Unterschiede zwischen dem Leben in der Großstadt und auf dem Land. Aber auch in abgelegenen Dörfern wird dort das Wasser eher nicht mit Kamelen von einem weit entfernten Brunnen geholt, sondern kommt aus dem Kran. Meistens sogar warm.

Und auch denjenigen, die durch ihre Hilfe und ihr Engagement in solchen Unterkünften mit den Gegebenheiten vertraut sind, möchte ich das Buch gerne zu lesen geben und ihnen einige Abschnitte besonders empfehlen. Die Protagonistin lebte als Kind bei – nicht mit – einer Familie mit einer deutschen Mutter und ist aufgrund ihrer Sprachkenntnisse im Flüchtlingsheim als Dolmetscherin sehr gefragt. Gefragt wird sie selber allerdings nicht, ob und wann sie als Übersetzerin eingesetzt werden will, und ob sie diese Rolle nicht auch regelmäßig überfordert. Ich jedenfalls nehme, nachdem ich das Buch gelesen habe, mein Engagement genauer unter die Lupe, um der Falle „gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ möglichst auszuweichen.

Um jetzt doch nochmal auf den Krimi zurückzukommen: er ist meiner Meinung nach spannend, realitätsnah und gut erzählt. Für mich ein großer Pluspunkt: Die Autorin verzichtet darauf, jegliche Art von Sensationsgier zu bedienen, sondern erzählt ruhig, besonnen und dennoch fesselnd.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich wünsche mir, dass „Unter Fremden“ in kurzer Zeit eine lange Liste von Vorbestellungen in der Bücherei hat. Verdient hat es das.

fl

Unter Fremden

Riham und Osama schreiben

Regelmäßige Leser/innen unsere Blogs erinnern sich vielleicht noch an meine Freundin Riham, ehemalige Praktikantin in unserer Bücherei und sehr engagiert für ein harmonisches Miteinander von Menschen mit verschiedener Herkunft, Tradition, Kultur und Glauben. Riham absolviert zur Zeit ein Praktikum bei der UNICEF in Köln und hat für deren Homepage ihren ersten Blogbeitrag auf Deutsch geschrieben (Chapeau, meine Liebe). Anlass war ein Brief, den der 10jährige Osama, der wie seine Familie zu den regelmäßigen Bücherei-Besuchern gehört, zu einem für die Welt sehr beschämenden Datum geschrieben hat: dem siebten Jahrestag des Kriegsausbruchs in seiner Heimat Syrien.

Ein Artikel, der unter die Haut geht, und der angesichts der aktuellen Diskussionen eine große Leserschaft verdient hat (also gerne auch weiterleiten und verlinken). Aber lest selbst:

Körperteile von Kindern unter Ruinen

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„Umarme mich!“

 

Firas Alshater„Ich komme auf Deutschland zu – ein Syrer über seine neue Heimat“. Sollte ich ein Buch über syrische Flüchtlinge lesen, wo ich doch in regelmäßigem Kontakt so viel aus erster Hand erfahre? Ja klar, ich bin ja neugierig, äh sehr interessiert, habe das Buch schlecht aus der Hand legen können und keine Leseminute bereut. Auch wenn die Gespräche mit meinen syrischen Freund/innen sehr offen und dank ihres fleißigen Deutschlernens inzwischen tiefgehend sind, gibt es immer wieder Momente, wo sich beide Seiten fragen, was man dem Gegenüber zumuten kann, wenn es um politische Verfolgung, Kriegs- und Fluchterlebnisse geht. Der syrische Filmemacher Firas Alshater hat solche Berührungsängste weniger und weiß dennoch Grenzen zu ziehen, nicht zuletzt um sich selbst und seine psychische Verfassung zu schützen. Er setzt da lieber auf Humor, sowohl in seinem Buch als auch in seinem empfehlenswerten Youtube-Kanal „Zukar“.

Alshater kam als Filmemacher mit einem Arbeitsvisum 2013 nach Deutschland, wohlwissend dass eine Rückkehr in seine Heimat für ihn auf absehbare Zeit nicht möglich ist, denn er gehörte zu den Mitorganisatoren der ersten Anti-Assad-Demonstrationen, und saß mehrfach im Gefängnis und wurde dort gefoltert. Seine Dankbarkeit, in Deutschland in Freiheit und Sicherheit leben zu können, bringt er immer wieder zum Ausdruck, äußert aber auch deutliche – und wie ich finde, sehr berechtigte – Kritik an vielen Dingen, die es Flüchtlingen schwer machen, in ihrer neuen Heimat wirklich anzukommen.

1GeschmökertWenn er sich über die deutsche Bürokratie beklagt, dann habe ich das live in anderem Wortlaut schon viel zu oft gehört, allerdings halte ich seine Schlussfolgerung für durchaus überlegenswert: „Wenn der Westen irgendwann ISIS im Alleingang besiegen will, muss er nur einen deutschen Behördenbrief hinschicken. An dessen Übersetzung gehen die bestimmt zugrunde.“

Der Autor schreibt auch darüber, wie wichtig für ihn die Hilfe und Unterstützung Einheimischer war, wenn er drohte vor der deutschen Bürokratie oder dem Berliner Wohnungsmarkt zu kapitulieren, und welche Hürden dadurch für die Integration aufgebaut werden. Wieder mal meine volle Zustimmung zu seinem Statement: „Ich glaube nur an die Flucht nach vorne. Die wäre übrigens auch für die besorgten und verängstigten Menschen in Deutschland gut. Sie könnten einfach mal anfangen, weniger über Flüchtlinge zu diskutieren und mehr mit ihnen. Deshalb ist Integration im Heim ungefähr so sinnvoll, wie eine Tür auf eine Mauer zu malen.  Flüchtlinge können sich nun mal nicht in einem Land integrieren, wenn sie nicht mit Einheimischen zusammen sein dürfen. Eine Hand klatscht ja auch nicht alleine.“

Meine Empfehlung für „Ich komme auf Deutschland zu“ sowohl für diejenigen, die Kontakte zu Flüchtlingen haben, als auch für diejenigen, deren Meinungen eher abstrakte Grundlagen haben: Unbedingt lesen! Das Buch bietet einen kompakten, informativen und oft humorvollen Überblick über ein Schicksal, das so ähnlich viele Syrer mit Alshater teilen, und heischt nicht um Mitleid sondern wirbt um Verständnis.

Wenn ich irgendwann mal irgendwo einen jungen, bärtigen Mann auf der Straße stehen sehe mit diesem Schild

Umarme mich

Dann werde ich ihn in den Arm nehmen auch, wenn er vielleicht nicht Firas Alshater ist. Er wird sicher ebenso wie viele andere mit mir dessen Meinung teilen: „Wenn wir eines Tages nicht mehr über Integration reden, dann hat sie funktioniert.“

fl

Über Grenzen hinweg

Riham B

Vorab: das wird jetzt etwas persönlich und auch ein bisschen gefühlvoll. Denn es geht um eine junge Frau, mit der ich seit einiger Zeit befreundet bin, wobei unterschiedliche Religion, Traditionen und Kultur ebenso wenig störend sind, wie ein Altersunterschied von mehreren Jahrzehnten. Und nein, ich bin keine „mütterliche Freundin“ für sie, denn sie hat eine ganz tolle Mutter, die ich ebenso mag, wie die Tochter.

Meine Freundin Riham Sabbagh kam vor zwei Jahren aus Aleppo nach Deutschland. In ihrer Heimat hat sie als Englisch-Dozentin an der dortigen Universität gearbeitet, wir konnten uns also von Anfang gut auf Englisch verständigen. Inzwischen reden wir fast ausschließlich auf Deutsch miteinander – und wahrlich nicht über Themen wie Wetter und Einkaufen.

Sie ließ nicht nur Freunde und Verwandte in ihrer Heimat zurück, sondern (vorerst) auch ihre berufliche Zukunft und den Traum zu promovieren. Zur Zeit verbessert sie ihre Deutschkenntnisse, um Studien-Niveau zu erreichen und weiter zu studieren, und sie ist auf der Suche nach einem Neben-Job. (Anmerkung am Rande: Wer eine offene Stelle zu vergeben hat oder kennt, wer Beziehungen zu potentiellen Arbeitgebern oder eine zündende Idee für die Jobsuche hat, bitte her damit!)

Aber vor allem engagiert sich Riham stark für ein gutes Miteinander von Einheimischen und Geflüchteten. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin unserer Bücherei hat sie schon vielen arabisch sprechenden Besucher/innen geholfen und wichtige Übersetzungsarbeit geleistet. Im Rahmen des Projekts „Life back home“ (lifebackhome.de) erzählt sie in Schulklassen über ihr Leben in Syrien, ihre Flucht und ihr Ankommen in Deutschland. Sie hat an mehreren Podiumsdiskussionen teilgenommen und kürzlich hat sie einen eindrucksvollen Vortrag gehalten. Im Zug, im fahrenden.

Die Saxion-Universiät Enschede hatte sich im Rahmen eines TEDx-Projektes mit dem Thema Grenzen beschäftigt und dabei in einem Zugwaggon während der Fahrt von Enschede nach Münster verschiedene Vorträge präsentiert. Einer davon war ein engagiertes und beachtenswertes Plädoyer von Riham, Grenzen offen zu halten. Grenzen zwischen Ländern, aber auch Grenzen in den Köpfen.

Was Grenzen im Alltag bedeuten, schilderte sie anhand ihrer Erfahrungen im syrischen Bürgerkrieg, als innerhalb des Landes auf der 360 Kilometer langen Strecke zwischen Aleppo und Damaskus plötzlich 25 Kontrollstationen eingerichtet waren, als Aleppo zu einer geteilten Stadt geworden war. All das erzählte sie, während der Zug die deutsch-niederländische Grenze überquerte, gänzlich unbemerkt von allen Reisenden.

Angst vor Unbekanntem dürfe nicht zu Grenzen innerhalb der Köpfe führen. Deshalb forderte Riham, dass möglichst viele Menschen die Chancen nutzen, miteinander ins Gespräch zu kommen, die Lebensgewohnheiten des jeweils anderen kennenzulernen und so Vorurteile nicht aufkommen zu lassen, oder sie abzubauen. Dass sie als Beispiele dafür, wie einfach das sein kann, das Internationale Café und das Ochtruper Spieletreffen beschrieb, an denen die Bücherei maßgeblich beteiligt war, sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Eine bessere Werbung hätte sich die Bücherei nicht wünschen können.

Mein Versuch, diesen Vortrag in groben Zügen (ups, unbeabsichtigtes Wortspiel) zu beschreiben, ist ziemlich stümperhaft im Vergleich zum Original. Denn nur das verursacht Gänsehaut und macht Lust darauf, die Aufforderung Rihams „Lasst uns unser Denken, unsere Herzen und unsere Grenzen offen halten“ zu befolgen. Deshalb: Anschauen lohnt sich!

fl

Von Tüll und Gebeten

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Tüll, Kilometer und Kilometer Tüll, überwiegend in weiß, aber auch in kräftigem Rot oder Schwimmbadkachelblau. Dazu jede Menge Glitzer und Glimmer, Perlen, Spitzen und Pailletten. Genau mein Ding.  😦

Dass der Duisburger Ortsteil Marxloh nicht gerade durch besonderen städtebaulichen Charme besticht, ist klar. Aber dass dieser mangelnde Charme durch Braut- und Festmoden in jedem zweiten bis dritten Schaufenster in der Haupteinkaufsstraße wettgemacht werden soll, bezeichne ich mal ganz neutral als „Besonderheit“. Begeistert hat es mich nicht, eher amüsiert, aber das liegt sicher auch daran, dass ein Brautkleid in diesem Leben mit Sicherheit nicht mehr auf einer Einkaufsliste stehen wird. Ich habe einmal in eben diesem Leben geheiratet (nicht in Weiß und ganz ohne Tüll) und diesen Fehler schon vor vielen Jahren erfolgreich korrigiert.

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Ein Jahr danach

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„Ein Jahr danach“ haben wir die Veranstaltung zum Auftakt der Interkulturellen Woche in der Bücherei betitelt, mit deren Vorbereitungen ich einen beträchtlichen Teil meiner Arbeitszeit und einen kleinen Teil meiner Freizeit verbringe. Anlass und Gelegenheit, darüber nachzudenken, was dieses Jahr danach für mich im Zusammenhang mit der Zuwanderung seit Herbst 2015 Jahr gebracht hat.

Als Erstes: ich weigere mich auch nach einem Jahr immer noch, den Begriff Flüchtlingskrise zu benutzen. Denn mein kleines Leben ist genauso wenig krisengeschüttelt wie vor zwölf Monaten. Ich lebe immer noch in meiner schönen Wohnung. Energie zum kochen, backen und heizen ist genauso da wie Trinkwasser und Licht. Lebensmittel wurden auch nicht rationiert. Mein Budget wird nicht durch Sonderabgaben belastet. Ich kann nach wie vor unbehelligt durch die Kleinstadt gehen, auch im Dunkeln. Einziger Unterschied beim Stadtbummel: ich werde häufiger und freundlicher gegrüßt, denn das Jahr bescherte mir viele neue Bekannte und auch Freund/innen.

Krise? Bestenfalls für die Bürokratie und Teile der Politik, die einen rechtspopulistischen Ring in der Nase haben.

Interkulturelle Begegnungen
für mehr als eine Woche

Die Interkulturelle Woche 2015 brachte beruflich neue Aufgaben, z.B. die Kooperation mit dem hiesigen Flüchtlingshilfeverein Miteinander e. V und damals teilweise leicht chaotische Veranstaltungs-Vorbereitungen. auftakt-ikw-2015Einbezogen war ich auch in das Vorhaben, den Bestand der Bücherei um eine neue Kategorie zu erweitern, der wir den Titel „Migration – Flucht und Ankommen“ gaben. Das machte nicht immer Spaß, denn das, was die Verlage anboten, ist nicht mit der Auswahl von heute zu vergleichen.

Unheimlich viel Spaß machte es, bei Miteinander e.V., der örtlichen Buchhandlung und der Bevölkerung offene Türen einzurennen mit einem Projekt, bei dem praxisnahe Sprachhefte für ganz viele Flüchtlinge gespendet wurden. Unheimlich viel Spaß machte es auch, mit Farshid aus dem Iran zusammen zu arbeiten, der fast ein Jahr lang in der Bücherei ehrenamtlich tätig war, bis er eine feste Arbeitsstelle fand. Allerdings nicht so viel Spaß machte es, als Farshid nach einem sehr guten Abendessen, das er für Freunde gekocht hatte, mir eine besondere Spezialität zeigen wollte. Er holte einen in durchsichtige Folie eingewickelten Schafskopf aus dem Kühlschrank.

OK, Begegnungen mit fremden Kulturen bedeuten auch Neues zu lernen. Ich hatte blitzschnell gelernt, dass es Sinn macht, vor einer Essenseinladung Gastgeber/innen aus dem arabischen Raum vorsichthalber zu fragen, was denn auf den Tisch kommt.

Gelernt habe ich aber auch von meinen ehrenamtlichen Kolleginnen Abeer und Rita mit ihren Söhnen / Brüdern Ali und Hamsah, wie wichtig Familie in Zeiten von Krieg, Flucht und Leben in vollkommen fremder Umgebung ist, und wie wertvoll.

Sie, aber auch Hanah und Mohammed mit ihren beiden Töchtern, haben mir gezeigt, wie unkompliziert und herzlich Gastfreundschaft sein sollte. Familienmutter Hind ließ mich in eine Welt von arabischem Hüftgold versinken, und ihre Töchter bestärkten mich in der Annahme, dass fortschrittliches Denken und weibliches Selbstbewusstsein nichts, aber auch gar nichts mit Kopftüchern zu tun haben muss.

Integration macht dick

Es gab noch viele andere Begegnungen, die ich hier gar nicht alle aufzählen kann (ich hoffe, niemand fühlt sich jetzt übergangen), und von denen ich nicht eine Einzige missen möchte. Ich nehme dafür auch in Kauf, wenn sich meine persönliche Theorie, dass Integration dick macht (zumindest mich), nach einem wunderbaren Essen beim Blick auf die Waage am nächsten Tag bewahrheitet.syrisches-menu

Natürlich sind Ereignisse, wie die Kölner Silvesternacht nicht an mir vorbei gegangen, natürlich weiß ich um die Bedrohung durch radikale Islamisten, natürlich ist mir bekannt, dass Menschen nach Deutschland gekommen sind, nicht weil sie fliehen mussten, sondern weil sie sich hier kriminell bereichern wollen.

Es ist wohl Glück gewesen, dass ich solchen Menschen nicht begegnet bin und durchweg positive Erfahrungen gemacht habe.

Hatte Fremdenfeindlichkeit auch früher in meinem Leben schon die Bedeutung „Bowlingkugel auf dem großen Zeh“, durfte ich im vergangenen Jahr ganz oft erleben, wie schön es sein kann, wenn Fremde unbefangen aufeinander zugehen und miteinander ins Gespräch kommen, statt Vorurteile aufzubauen. Und deshalb arbeite ich gerne daran, dass möglichst viele Menschen aus den verschiedensten Ländern die Chance haben, miteinander in Kontakt zu kommen. Auch im Rahmen der Interkulturellen Woche.

Nachtrag: Die Rohfassung dieses Beitrags war geschrieben und auf dem abendlichen Nachhauseweg traf ich einen der Menschen, die mir in den letzten Monaten auf einmal wichtig geworden waren. Natürlich gab es einen kurzen Plausch an der Straßenecke, und wir redeten über seine Familie, seinen bevorstehenden und Umzug und auch über die Vorbereitungen für die Interkulturelle Woche, an der seine Frau beteiligt sein wird.

Zum Abschied meinte er mit einem augenzwinkernden Lächeln „Wir schaffen das. Aber nur zusammen.“ Danke Mohammed für dieses schöne Schlusswort.

 

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