Grandios, einfach nur grandios. Unbedingt angucken!

Damit ist eigentlich schon das Wichtigste gesagt über den Film „Woman“, den ich innerhalb von ein paar Wochen jetzt das zweite Mal angesehen habe und ganz sicher noch das eine oder andere Mal folgen lassen werde. Dass mir das mit einem Dokumentarfilm passiert, hätte ich bisher nicht geglaubt. Aber ich behaupte, ungetrübt von besonderer Fachkenntnis oder cineastischer Neigung, dass „Woman“ von einer derartigen Qualität ist, das auch stolze 104 Minuten Untertitel im Abstand von einigen Wochen nicht eine Sekunde lang als herausfordernde Anstrengung empfunden werden.

Wie der Titel schon sagt, geht es um Frauen und für den Film wurden rund 2 000 Frauen in 50 verschiedenen Ländern dieser Welt interviewt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schwer die Auswahl der Frauen und ihrer Interview-Ausschnitte gewesen sein muss, die letztendlich zu sehen und zu hören sind. Nicht nur aus den unterschiedlichsten Ländern, sondern auch aus allen gesellschaftlichen Schichten schildern Frauen aller Altersklassen ihre Ansichten und Erfahrungen, von der durchgestylten Karrierefrau bis zur bis zur Feldarbeiterin mit traditionellem Lippenteller.

Sowohl die Protagonistinnen, als auch deren Statements und Erzählungen bilden ein immens großes Spektrum an Vielfältigkeit ab, geeint in ihrem Frausein. Weibliche Sexualität, Menstruation, Nacktheit werden aus Tabuzonen geholt und ebenso offen angesprochen wie Liebe im Alter, Geburten und das eigene Frauenbild.

Das Thema Gewalt gegen Frauen hat einen beträchtlichen Anteil in dem Film, spiegelt damit aber nur die Realität wider. Das Fehlen von Triggerwarnungen vor einigen geschilderten Erlebnissen neben den Untertiteln ist mein einziger Kritikpunkt an diesem Film. Von Männern ausgeübte Gewalt, und/oder die Angst davor, begleiten geradezu jede Frau jeden Tag. Bevor jetzt jemand Schnappatmung vor Empörung kriegt: auch sexistische Beleidigungen und unerwünschtes Grabschen sind Gewalttaten, nicht nur Prügel und/oder Vergewaltigungen.

Eine Bitte an die Männer, die vielleicht jetzt kopfschüttelnd vor dem Bildschirm oder Display sitzen, sich mal vorzustellen, sie würden nachts durch eine menschenleere Straße oder in eine Tiefgarage gehen. Wenn ihr alleine seid, kommt in euch vielleicht ein Gefühl von Angst hoch, vielleicht meidet ihr solche Situationen auch, wann immer möglich. Wenn ihr aber in Begleitung von einem Kumpel seid, könnt ihr meist relativ unbeschwert eures Weges gehen. Das können Frauen in Begleitung einer anderen Frau eher nicht, es sei denn, ihre Kumpeline ist Trägerin irgendeines schwarzen Kampfsport-Gürtels.

Der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Gewalt gegen Frauen verändert sich viel zu langsam, als das sich daran etwas grundlegend ändert. Eine scharfe Trennung zwischen sexueller und sexualisierter Gewalt wäre m. E. ein wichtiger Schritt. Wenn Frauen als Sexualobjekt zur Kriegsbeute werden, wie im Film geschildert, hat das wenig bis gar nicht damit zu tun, dass die Vergewaltiger ihre sexuellen Triebe befriedigen wollen, sondern sie demonstrieren ihre Macht. Eine Demonstration, bei der Frauen als Mittel zum Zweck grausamst missbraucht werden, um ihre Männer, Väter, Brüder und Freunde zu demütigen.

Anmerkung: Erst im Jahr 2002 wurde Vergewaltigung als Kriegsverbrechen in das Statut des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes aufgenommen, es dauerte vierzehn Jahre bis das erste Urteil dazu fiel. Zur Situation in Deutschland ein paar persönliche Hinweise im Nachtrag unter diesem Beitrag , denn hier soll es um den Film gehen, in dem Frauen zeigen, wie sie es geschafft haben, sich ihre Würde zu erkämpfen und zu bewahren, auch nach schlimmsten Misshandlungen.

Entsprechend spielt auch Respekt eine große Rolle (nicht nur) im Leben der Frauen, die in „Woman“ zu Wort gekommen sind. Völlig zu Recht kommt immer wieder ihre Forderung zum Ausdruck, dass nicht nur Männer, sondern die gesamte Gesellschaft Respekt vor der Arbeits- und Lebensleistung der Frauen haben müssen, statt sich darauf auszuruhen, oder schlimmer noch, bestimmen zu wollen, welche Chancen auf eine gleichberechtigte Teilhabe – allem voran im Bereich Bildung und Berufausübung – Frauen verwehrt sind und bleiben. Ja, sie verdienen Respekt, und zwar eine ganze Menge, all die Frauen, die trotz großer Hindernisse, die ihnen bewusst in den Weg gestelllt werden, trotz schlimmer Schicksalsschläge und Gewalterfahrungen, trotz ständiger Bedrohung und Einschränkungen ihren Mut und ihre Stärke dafür einsetzen, ihren Platz als kraftvoller Bestandteil der Gesellschaft einzunehmen und zu behaupten. Meinen haben sie.

Diese Frauen, stellvertretend für Milliarden andere, machen den Film zu dem, was er ist: sehr sehenswert und sehr wichtig. Also unbedingt angucken! Am besten im Kreis von Freundinnen und Freunden, denn ihr werdet garantiert anschließend Gesprächsbedarf haben. Der Orange Day am 25. November, an dem es weltweit die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen geefordert wird, wäre ein passendes Datum.

fl

Hier der versprochene Nachtrag:

In Deutschland hat es Jahrzehnte Kräfte zehrender Debatten bedurft, bis die Vergewaltigung in der Ehe strafrechtlich verfolgt werden konnte, bei der Abstimmung im Bundestag stimmten über 20 Prozent der Abgeordneten dagegen. Unter ihnen bekannte Politiker, die zum Teil immer noch als Entscheidungsträger in der Öffentlichkeit stehen (und sich in einigen Fällen dem Kampf gegen einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch verschworen haben).

Bis zum heutigen Tag werden Femizide in der deutschen Kriminalstatistik nicht gesondert aufgeführt, sondern lediglich die Tötungen im Rahmen der Partnerschaftsgewalt. Angesichts der zunehmenden Verbreitung der Incel-Bewegung, der neben Anders Breivik auch die Attentäter von Hanau und Halle zugerechnet werden, ein gefährliches Weggucken der Behörden.

Aber auch die Justiz hat einen deutlichen Nachholbedarf, wenn es bei Gewalt gegen Frauen um die Vermeidung von Täter-Opfer-Umkehr geht, denn die bundesdeutschen Gerichte können sich immer noch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs von 2008 berufen (AZ 2StR 34908), in dem es u. a. heißt: „Nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der (frühere) Partner vom Täter abwenden will oder abgewandt hat, beruht zwangsläufig auf niedrigen Beweggründen. Vielmehr können in einem solchen Fall auch Gefühle der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit tatauslösend und tatbestimmend sein. Diese können eine Bewertung als „niedrig“ namentlich dann als fraglich erscheinen lassen, wenn die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und sich daher der Angeklagte durch die Tat gerade dessen selbst beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will.“ Mit anderen Worten: Ein Mann, der seine Partnerin ermordet, weil sie ihn verlassen will und/oder eine neue Liebesbeziehung eingegangen ist, kann wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt werden. Das kann nicht nur einige Jahre, sogar Jahrzehnte Knast ersparen, sondern im Gegensatz zu Mord verjährt Totschlag nach zwei Jahrzehnten.

Wer sich für Zahlen und Fakten der jüngsten BKA-Statistik interessiert, findet sie hier.