Erinnert ihr euch noch an den Sommer, als man sich im Freien treffen durfte? Erinnert ihr euch auch noch daran, dass außer Trump noch einige Leute gedacht haben, das Virus mitsamt Ansteckungsgefahr sei sowas Ähnliches wie Butter und würde in der Sonne schmelzen, und deshalb sei die Zeit reif für große Partys? Damals noch, ohne dass irgendwelche Leute, die sich selber ganz stolz ein völlig verqueres Denkvermögen bescheinigen, ihre Finger im Spiel hatten. Zu der Zeit wurden diese Treffen von hundert und mehr Leuten ohne Einhaltung der Abstandsregeln von der Polizei aufgelöst. Und heute? Da findet das, was vor gar nicht langer Zeit als Corona-Partys mit Bußgeldern belegt wurde, ganz legal und auf ministerielle Anordnung jeden Tag in bundesdeutschen Schulen statt.

Ja, ich finde es gut und richtig, dass Schulunterricht auch in Corona-Zeiten eine Selbstverständlichkeit ist. Was ich aber ganz bestimmt nicht für selbstverständlich halte, dass die zuständigen Ministerien es schlicht und einfach vergeigt haben, den Schulunterricht an Corona-Bedingungen anzupassen und Schüler, Lehrer und Eltern schmählich im Stich lassen. Wie fühlt frau sich denn wohl als zuständige Ministerin, wenn sie im mit 240 Plexiglas-Kabinen ausgestatten Düsseldorfer Plenarsaal verkündet, dass ihre beste Idee für weiteren Infektionsschutz von Schüler/innen und Lehrer/innen in der zweiten Corona-Welle geöffnete Fenster und Strickjacken ist? Da kommt große Freude auf, vor allem, wenn man sich überlegt, warum nach über acht Monaten Leben mit dem Virus das geballte ministerielle Fachwissen mit viel gutem Willen gerade mal als übersichtlich einzuschätzen ist.

Wenn betroffene Mütter und Väter da zu einer weitaus drastischeren Wortwahl greifen – natürlich nur in Abwesenheit des Nachwuchses dem das elterliche Repertoire an Schimpfwörtern verborgen bleiben soll, ist das durchaus nachzuvollziehen. Egal, ob es um überfüllte Schulbusse, jämmerliche technische Ausstattung der Schulen, oftmals nicht viel bessere Kenntnisse der Lehrkräfte geht, da schwellen Hälse. Wenn dann noch hinzukommt, dass z. B. in den westmünsterländischen Bauernschaften die Internet-Anbindung derart lahm ist, dass die User/innen, anders als die zu verschickende Daten in Rekordzeithochgeladen sind, platzen auch schon mal Kragenknöpfe ab.

Wenn in Radio- und Fernsehinterviews Landes-Schulministerinnen auftreten, frage ich mich, woher sie die Arroganz nehmen, das Lüften als die beste aller Maßnahmen gegen Corona im Klassenzimmer zu bejubeln, obwohl bei weitergehenden journalistischen Nachfragen Unwissenheit und Unsicherheit deutlich, ja schon grell hervorblitzen. Diese Arroganz geht dann auch soweit, dass Eltern, die Luftreiniger spenden wollen, bürokratische Steine in den Weg gelegt werden, der recht kostengünstige Einbau von Abzugshauben aus akademischer Planung nur für Räume gestattet werden soll, in denen sich die Fenster nicht öffnen lassen, und gute und praktikable Ideen von Lehrer/innen und Direktor/innen abgelehnt statt diskutiert werden. Wenn Stoßlüften das Allheilmittel in diesen Zeiten ist, warum bleibt in vielen Amtsstuben alles verschlossen, was frischen Wind reinlassen könnte?

Ich habe ja schon häufig in diesem Jahr festgestellt, dass ich – bei aller Kritik an Politik und Regierung in verschiedenen Bereichen –  froh bin, in Corona-Zeiten in Deutschland zu leben. Bei dieser Feststellung kann ich auch weiter bleiben, allerdings nur, weil meine Kinder aus dem schulpflichtigen Alter lange raus sind.

Das „Wort des Jahres“ ist ja seit ein paar Tagen bekannt, mein Vorschlag für das „Unwort des Jahres“ lautet: Bildungspolitik. Wobei ich fürchte, dass es das Potential hat zum „Unwort des Jahrzehnts“ zu werden. Mindestens.

fl