Es ist schon ziemlich verrückt. Das Münsterland ist in heller Aufregung wegen des massenhaften Aufkommens von Raupen, deren Brennhärchen üble Auswirkungen bis hin zum anaphylaktischen Schock haben können und gleichzeitig gibt es viele Ideen, Vorschläge und Initiativen, um einem weiteren Aussterben von Insekten entgegen zu wirken. Es ist also, wie so oft: Von den Bösen gibt es viel zu viel, von den Guten viel zu wenig. Ich könnte jetzt behaupten, die Idee „Tu mal was für die Guten“ wäre ausschlaggebend dafür gewesen, dass ich meine Balkonkästen mit einem Saat-Vlies für „Bauerngarten-Blumen“ bestückt habe. Die Wahrheit ist, dass kein einziger meiner Daumen irgendeine grüne Färbung aufweist.

Für die Vlies-Dinger reichen meine gärtnerischen Fähigkeiten durchaus. Dass sich, wie auf der Packung versprochen, Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten magnetisch angezogen fühlen, konnte ich allerdings nicht feststellen. Reichten im Vorjahr Lavendel, Tomaten und ein paar Kräuter, dass sich in schöner Regelmäßigkeit Bienen bis in den dritten Stock verirrten, habe ich bislang nur Blattläuse gesehen. Und Ameisen. Jede Menge Ameisen, die sich über die Läuse ganz sicher mehr freuen als ich. Der dicke Kreidestrich, den ich vor der Balkontür gezogen habe, hat übrigens keine esoterische Bedeutung.

Als Alternative eine Patenschaft für Blühstreifen zu übernehmen, wie sie von Landwirten angeboten wird, kommt allerdings für mich nicht in Frage. Dabei geht es nicht darum, dass ich etwas dagegen hätte, wenn statt totgespritzter Mais-Brachen mehr und mehr blühende Wiesen zu finden sind, im Gegenteil. Ich habe nur etwas dagegen, dass diejenigen, die ganz sicher nicht unbeteiligt sind am Insektensterben sich jetzt loben und vor allem großzügig bezahlen lassen, wenn sie wenigstens auf kleinen Randflächen diese Schäden wieder wett machen wollen. Außerdem leiste ich persönlich einen nicht unbeträchtlichen Beitrag zum Fortbestand von Insekten, allerdings nur für blutsaugende Mücken. Die nämlich gibt es im Gegensatz zu Bienen und Schmetterlingen im Blumenkasten in meinem Wohnzimmer und meinem Schlafzimmer reichlich. Diese Mistviecher scheinen ihr nervtötendes Surren, mit dem man sie lokalisieren kann, in diesem Jahr eingestellt zu haben. Dafür haben sie sich aber anscheinend die Fähigkeit zugelegt, durch Shirts, Blusen und dünne Hosen stechen zu können und haben im Vergleich zu den Vorjahren das Juck-Potential ihrer Stiche verdoppelt.

Um zwischen 30 und 100 Eier ablegen zu müssen, brauchen die Mückenweibchen Blut, ich habe also in den vergangenen Tagen die Existenz von einigen hundert, wenn nicht gar tausend Mücken gesichert und damit auch Gutes für die Vogelwelt getan. Und für Fledermäuse – nicht, dass mir das ein besonderes Anliegen wäre. Es wäre also nicht die schlechteste Geschäftsidee, wenn ich für einen Euro eine Patenschaft pro Mückenstich anbieten würde. Interessierte bitte melden!

Und bis ich mir davon einen Urlaub leisten kann, genieße ich auf Balkonien den Anblick von Bauerngarten-Blumen. Sie sehen nämlich wirklich schön aus.

fl