
Schade, dass ich zwar gerne, aber nicht besonders gut und eher selten nähe. Ich finde nämlich die Idee für Vielnäherinnen einfach schön, ein eigenes Nähbuch anzufertigen, bestehend aus einem einfachen Notizbuch, bei dem nach erfolgreichem Abschluss einer Näharbeit zwei Seiten mit dem Faden, der ohnehin noch auf der Maschine steckt, zusammen mit einem kleinen Stück des verarbeiteten Stoffs zusammengenäht werden. Ein paar Notizen, wann, was für wen aus welchem Anlass gefertigt wurde, und es entsteht ein Erinnerungsbuch mit deutlich mehr Charme als das Fotoalbum, in dem die x-te Mallorca-Reise vom Warten auf den Abflug bis zur Rückkehr mit Wäschebergen festgehalten ist.
Aber noch schöner als die Idee des Nähbuches finde ich es, wenn jemand die Idee, über alte Nähbücher einen Roman zu verfassen, so gelungen umsetzt wie Natalie Fergie in „Die Nähmaschine“. Erschienen übrigens in dem von mir erst kürzlich entdeckten Wunderraum-Verlag, dessen Library Cookbook mich bekanntlich bereits in Verzückung versetzte.
Zugegeben, ein bisschen Nostalgie kommt auch ins Spiel, denn zu meiner frühen Kindheit gehört das Spiel mit dem Trittbrett der mechanischen Nähmaschine, auf der meine Mutter sehr viel und sehr gekonnt genäht hat. Nachdem ich mir einmal ihren heiligen Zorn zugezogen hatte, weil das Garn noch in der Nadel war und ich für entsprechende Verknotungen gesorgt hatte, nie mehr ohne vorherige Nachfrage.
Aber zurück zu Natalie Fergies Debutroman, der anfangs nur in ihrem Internet-Blog zu lesen war, und der einen Bogen vom Arbeitskampf in den Singer-Werken im schottischen Clydebank 1911 (zu einer Zeit, in der Singer weltweit der unangefochtene Marktführer in Herstellung und Verkauf von Nähmaschinen war) bis ins Jahr 2016 schlägt, wo die alten Nähmaschinen bestenfalls noch als Ersatzteillager dienen, oder – auch eine schöne Idee der Autorin – Material zur Herstellung von Schmuck und Kunstobjekten.

Erzählt werden die Geschichten von Menschen und ihren Arbeits- und Lebensbedingungen. Von der Näherin mit für heutige Verhältnisse üblen Arbeitsbedingungen, der Krankenschwester in den 1980ern, die als ledige Schwangere um ihren Arbeitsplatz bangen muss oder als junger, beruflich wenig erfolgreicher Mann in unserem Jahrzehnt, der eher ein bisschen widerwillig seine Liebe zum Nähen entdeckt, und vielen mehr. Einige davon schon fast ein eigenes Buch wert. Auf verschlungenen, aber niemals verworrenen Wegen kommen deren Nachfahren schließlich zusammen und einem wohlgehüteten Familiengeheimnis auf die Spur. Nicht unbedingt vorhersehbar, vor allem aber ganz ohne Kitsch und Schwulst, sondern in einer wunderbaren Erzählweise, die die Leser/innen mitnimmt, und die es schwer macht, das Buch aus der Hand zu legen.
Mehr will ich gar nicht verraten, sondern Euch das Buch uneingeschränkt zum Selberlesen empfehlen, egal ob Ihr gerne näht, oder nicht.

fl
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