
Es waren schon schlimme Bilder, die in dieser Woche aus Paris über die weltweiten Bildschirme flackerten und die Berichterstattung in den Medien bestimmten. Ja, es macht betroffen, wenn ein Stück Jahrhunderte alter Geschichte zerstört wird. Aber warum macht es betroffener, als wenn ein Vielzahl historischer Bauwerke und Zeitzeugen einer Jahrtausende alten Geschichte in Trümmern liegen? Wo waren denn die tagelangen Schlagzeilen, die Forderungen nach Sondersendungen und unzählige von tränenreichen Betroffenheitsbekunden im Internet, als beispielsweise die Altstadt von Aleppo zerbombt war? Ist die Tragödie größer, wenn der Anlass wahrscheinlich ein Unfall bei Renovierungsarbeiten war, als wenn sie eine bewusste und gezielte Entscheidung zur Zerstörung war? Sowohl Notre Dame als auch die Altstadt von Aleppo (ebenso wie zahlreiche andere zerstörte Denkmäler in Syrien, in Afghanistan, in Afrika) sind von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Sind diese, nur weil sie in Europa stehen, wertvoller, als wenn die aus dem arabischen Raum stammen?
Mich befremden einige Reaktionen auf den Brand in Paris, auch aus der Politik. Was bitte hätten denn die gescholtenen öffentlich-rechtlichen Sender am Abend des Brandes über das hinaus, was sie gezeigt und geschrieben haben, berichten sollen? Was hätte denn der Inhalt der von einigen geforderten Sondersendungen sein können? Standbilder von der Feuerwehrleiter, von der aus unablässig Löschwasser in die Rauchwolken floss? Welche Informationen wurden denn den Zuschauer/innen vorenthalten, wenn es keine gab? Wünschte sich ernsthaft jemand Programmunterbrechungen für eine gebetsmühlenartigen Wiederholung der Tatsache, dass den Einsatzkräften die Rettung des Gebäudes, oder möglichst vieler seiner Teile wichtiger war, als die Sensationslust der Menschen auf dem heimischen Sofa? Anders gefragt: Warum kann man sich nicht einfach mal mit vorhandenen Informationen zufrieden geben, wenn es vor Ort weitaus Wichtigeres gibt, als Pressemitteilungen rauszugeben?
Was passiert, wenn bei Veröffentlichungen Gerüchte und Spekulationen einen höheren Stellenwert haben als Fakten, haben diverse rechte Medien und Organisationen gezeigt, die mal wieder islamfeindliche Verschwörungstheorien in die Welt setzten die Welt setzten. Da lobe ich mir das Verantwortungsbewusstsein seriöser Journalist/innen.
Und ja, zu der hohen Spendenbereitschaft für den Wiederaufbau eines europäischen Bauwerks könnte ich eine Menge schreiben und mich damit den üblichen Whataboutismus-Vorwürfen bestimmter Kreise aussetzen. Ich lasse es und zitiere lediglich den Kabarettisten Phillip Simon:
„Eine Kirche brennt. Niemand kommt glücklicherweise ums Leben.
Europa steht zusammen. Präsidenten und deren Sprecher schicken trostspendende Nachrichten. Finanzielle Soforthilfen sind über Nacht organisiert.
Auf dem Mittelmeer kentern Boote. Tausende von Menschen sterben. Europa ist seit Jahren zerstritten. Präsidenten und deren Sprecher reden nicht darüber. Ehrenamtliche Seenotretter werden kriminalisiert.
Das Wertesystem bleibt mir ein Rätsel.“
fl
Kommentar verfassen