
Bald startet sie wieder, die Saison für Cocktail-Kleider und bodenlange Roben in allen Farben und Schattierungen, die die Bandbreite von geschmacklos bis todschick abdecken, und die Eines gemeinsam haben: Sie werden nur höchst selten ein zweites Mal getragen. Es steht die Zeit bevor, in der Kosmetiker/innen und Friseur/innen samstags Sonderschichten einlegen, und junge Männer sich seit ihrer Kommunion/Konfirmation erstmals in Anzug und Krawatte werfen, dieses Mal ganz ohne Druck der Eltern. Nein, es geht nicht um den Wonnemonat Mai, der gerne als Datum zur Eheschließung ausgesucht wird, sondern landauf landab stehen Abi-Bälle ins Haus.
Für die meisten Eltern ein Anlass zwischen Erstaunen und Entsetzen, nicht nur wegen der Fragen „Wo ist die Zeit geblieben, seitdem ich auf einem kleinen Kindergartenstühlchen eine Schultüte für mein Kind gebastelt habe?“ und „Was wird, wenn sie/er bald von zu Hause auszieht?“, sondern nicht selten auch wegen der Überlegung „Wer bitte soll das denn bezahlen?“
Ja, nicht nur die vergangenen Jahre, in denen der hoffnungsvolle Nachwuchs mit Essen, Trinken, (Marken?)Kleidung, Schulbüchern, Klassenfahrten – ach, was schreib ich Klassen-Fernreisen, Taschengeld, Handys und Spielkonsolen ein ordentliches Loch in das elterliche Budget riss, waren teuer, sondern auch der Endpunkt dieser Zeit schlägt mit den Kosten für so manchen Abiball nochmal gehörig zu Buche. Für die Abiturientinnen meist erheblicher als für ihre Schulkollegen.
Da ist erst mal die Jagd nach den passenden Kleidern. Eines für die Zeugnisübergabe inklusive oft ebenso langatmiger wie langweiliger Reden, so dass sich knitterarmes Material empfiehlt. Schließlich wollen die jungen Frauen auf dem abschließenden Gemeinschaftsfoto nicht aussehen, als wären sie am Vorabend nicht mehr in den Pyjama gekommen. Und dann natürlich das Kleid für den Abi-Ball, dass für viele der jungen Damen weniger die Kriterien für den ersten Wortteil des Anlasses erfüllen soll, sondern den letzten, weshalb wir an dieser Stelle ernsthaft von Ballkleidern sprechen. Und die sind selten zum Schnäppchenpreis im Schlussverkauf zu finden. Die ersten Kosten entstehen schon bei diversen samstäglichen Fahrten in die Nachbarstädte zum Ballkleid-Shopping. Eine Angelegenheit, die selbst Helikopter-Eltern vor nervliche Herausforderungen stellt, von vielen anderen Eltern tunlichst gemieden wird.
Ein Phänomen, wie immer in der Mode: auch hochpreisige Ballkleider bestechen nicht immer durch Schönheit und besondere Qualitätsansprüche ans Material, sondern können durchaus wie billige Fähnchen aussehen. Wohl dem, der schneidern kann oder jemanden kennt, der es kann. Viel billiger wird es nicht unbedingt, aber der Plastik-Anteil ist geringer.
Der nächste Schock kommt dann, wenn es um Eintrittskarten für den Abi-Ball geht. Nicht, dass Eltern über den Umweg des Taschengeldes nicht schon diverse Abi-Vo-Fi-Partys großzügig gesponsert haben, für Abi-Bälle werden heutzutage oft – und zum Glück nicht überall – Eintrittspreise von hundert und mehr Euro veranschlagt. Den Vogel dürfte in diesem Jahr ein Münsteraner Gymnasium abschießen mit ein!hun!dert!sech!zig Euro pro Karte. Nicht für die Familie, sondern pro Person. Das bedeutet für Eltern und ein Geschwisterkind fallen 480 Ocken an. Nicht eingerechnet das Taxi für den Heimweg, das Kleid für Muttern (manche Mütter stehen, was das Herausputzen zu diesem Anlass angeht, ihren Töchtern kaum nach), was Schickes für Schwester und Bruder und Vater kann mit den abgetretenen Schuhen, die er zuletzt auf Tante Lissis Beerdigung anhatte, auch nicht mehr mitgehen. Rechnet man dann noch Ballkleid, Cocktailkleid, passende Handtasche und zwei Paar Schuhe für die Abiturientin, oder einen Anzug für den Abiturienten (gerne dreiteilig und hochwertig, den kann der Junge hoffentlich noch anziehen, wenn er später mal seinen Doktortitel, oder wenigstens seinen Master, in Empfang nimmt) mit passendem Hemd, Krawatte, Einstecktuch und Schuhen, ausnahmsweise mal ohne Logo von Nike, adidas und Co, dann sind wir bei einer Gesamtsumme, mit der die Familie sich einen ausgedehnten, ziemlich luxuriösen Urlaub leisten könnte.
Und da frage ich mich ernsthaft: Habt Ihr sie noch alle? Was bitte ist denn passiert, dass solch einen Aufwand rechtfertigt? Da haben Kinder das getan, was sie in der Schule zu sollten: Sie haben gelernt. Bezahlt haben das der Staat (ja, dessen Angebote sind gerade im Verhältnis zu den Kosten durchaus verbesserungswürdig) und die Eltern, die darüber hinaus noch beim Lernen geholfen haben (oder haben fürs helfen lassen bezahlt) und mit ihrem Einsatz so manchen hochdotierten Motivations-Coach in den Schatten stellten. Bei den meisten Abi-Bällen werden diese Eltern dann übrigens zu einem gewissen Zeitpunkt nach Hause geschickt, während sich die Abiturient/innen auf deren Kosten weiter befeiern, als hätten sie ihr Lebensziel schon erreicht. Und dabei stehen sie gerade mal am Anfang ihres Weges, weshalb ich mich frage, wie sie später denn wohl feiern wollen, wen sie mal etwas ganz selbständig und ohne Unterstützung der Eltern erreicht haben?
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Natürlich ist das Abitur ein Anlass sich zu freuen und mit Familien und Mitschüler/innen zu feiern. Das will den jungen Leuten auch niemand nehmen, aber es geht auch ein paar Nummern kleiner, wie zahlreiche Abi-Jahrgänge in der Vergangenheit es vorgemacht haben:

Und zum Schluss noch ein Vorschlag für diejenigen, die es für eine ganz besonders tolle Idee halten, eine Stretch-Limousine zu mieten und sich einen Tag, nachdem die ehemaligen Mitschüler/innen mal wieder für Umwelt- und Klimaschutz demonstriert haben und als faule Schulschwänzer/innen angepöbelt wurden, zum ausgelassenen Feiern auf Mammis und Pappis Kosten chauffieren lassen: Geht mal eine Woche in den nächstgelegenen Zoo und macht die Käfige von bedrohten Tierarten sauber. Ist auch eine gute Gelegenheit, über die Bedeutung des Wortes Reifeprüfung nachzudenken.
fl
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