„Lies das mal, das könnte was für dich sein. Und sag mir anschließend mal, ob du es für authentisch hältst. Du bist da näher dran als ich“ Mit diesen Worten drückte der Chef meiner Lieblingsbücherei mir das Buch „Unter Fremden“ von Jutta Profijt in die Hand. Ja, der Mann kennt mich. Gut genug um zu wissen, dass Flüchtlinge, syrische Frauen und Krimi (!) eine Kombination sind, die mich packt. Und was ich davon halte? Soviel, dass ich es nicht nur dem Bücherei-Chef sagen will, sondern auch aufgeschrieben habe als eindeutige Empfehlung, dieses Buch unbedingt zu lesen.
Wie beschreibe ich den Inhalt eines Kriminalromans, ohne zu viel zu verraten und Spannung zu zerstören? Am besten gar nicht, weshalb ich auch darauf verzichte und auf andere Aspekte eingehen möchte.
Zunächst einmal darauf, dass ich es großartig finde, wie die in der niederrheinischen Provinz lebende Jutta Profijt sich in die Denkweise und Gefühlswelt einer Analphabetin aus einem syrischen Dorf einfühlt. Vieles, was ich aus zahlreichen, intensiven Gesprächen mit Syrerinnen als Fakten mitgenommen habe, wird von der Hauptperson des Romans erlebt und erfahren, ohne dass die Autorin irgendeine Wertung vornimmt. Und so schüttelt der/die Leser/in beispielsweise nicht verwundert den Kopf, sondern fühlt einfach nur mit, wenn die gehbehinderte Madiha völlig erschöpft eine längere Busfahrt stehend hinter sich bringt, weil freie Sitzplätze nur direkt neben männlichen Fahrgästen verfügbar sind.
Die Schilderungen vom Alltag in einer Massenunterkunft würde ich gerne all denen zu lesen geben, die diese Unterbringung für akzeptabel halten. Und noch lieber denjenigen, die solche Dummheiten raushauen wie „Da ist doch alles viel besser, als sie es von Zuhause gewohnt sind.“ Auch wenn die Protagonistin erst lernen muss, ein Smartphone zu bedienen, bedeutet das sicher nicht, dass syrische Frauen mit den Segnungen der technischen Neuzeit nicht vertraut sind. Ja, es gibt (nicht nur) im arabischen Raum deutliche Unterschiede zwischen dem Leben in der Großstadt und auf dem Land. Aber auch in abgelegenen Dörfern wird dort das Wasser eher nicht mit Kamelen von einem weit entfernten Brunnen geholt, sondern kommt aus dem Kran. Meistens sogar warm.
Und auch denjenigen, die durch ihre Hilfe und ihr Engagement in solchen Unterkünften mit den Gegebenheiten vertraut sind, möchte ich das Buch gerne zu lesen geben und ihnen einige Abschnitte besonders empfehlen. Die Protagonistin lebte als Kind bei – nicht mit – einer Familie mit einer deutschen Mutter und ist aufgrund ihrer Sprachkenntnisse im Flüchtlingsheim als Dolmetscherin sehr gefragt. Gefragt wird sie selber allerdings nicht, ob und wann sie als Übersetzerin eingesetzt werden will, und ob sie diese Rolle nicht auch regelmäßig überfordert. Ich jedenfalls nehme, nachdem ich das Buch gelesen habe, mein Engagement genauer unter die Lupe, um der Falle „gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ möglichst auszuweichen.
Um jetzt doch nochmal auf den Krimi zurückzukommen: er ist meiner Meinung nach spannend, realitätsnah und gut erzählt. Für mich ein großer Pluspunkt: Die Autorin verzichtet darauf, jegliche Art von Sensationsgier zu bedienen, sondern erzählt ruhig, besonnen und dennoch fesselnd.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich wünsche mir, dass „Unter Fremden“ in kurzer Zeit eine lange Liste von Vorbestellungen in der Bücherei hat. Verdient hat es das.
fl
26. Juli 2018 at 08:57
Hat dies auf rebloggt und kommentierte:
Hier hat ein Kollege aus der Bücherei St. Lamberti in Ochtrup eine tolle Buchbesprechung geschrieben.
Ich lese dieses Buch gerade und bin sehr gefesselt von dieser Geschichte.
Die Schriftstellerin Jutta Profijt wird am 15. März 2019 zu Gast bei uns in der Stadtbücherei sein.
Ich freue mich sehr darauf. (Nico)
Bitte Termin in euren Kalendern vormerken!
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26. Juli 2018 at 10:08
Leise Stimme aus dem Hintergrund: „ein Kollege aus der Bücherei St. Lamberti“ ist eine KollegIN, welche sich sehr freut, dass dir meine Buchbesprechung gefallen hat. Ist aber auch ein tolles Buch und ich bin ein bisschen neidisch auf alle, die im März Frau Profijt bei Euch persönlich kennenlernen können. Viel Erfolg für die Veranstaltung!
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